DIE LEICHTIGKEIT DES SEINS
Du brauchst andere Spieler um besser zu werden. Wenn Du Dich in einem Team selbst an die erste Stelle stellst, liegst Du falsch. Du brauchst Respekt, Respekt für das Team und Respekt für Deine Mitspieler. Nur so kannst Du den Unterschied ausmachen. – Dennis Bergkamp
Wenn es darum geht, wer der beste Spieler ist der jemals auf diesem Planeten seine Fußballschuhe geschnürt hat, fallen in der Regel sehr illustre Namen: Zidane, Pele, Messi, Ronaldo oder Cruyff um nur einige von ihnen zu nennen. Meistens sind es Spieler, mit großen Aha-Effekt, die den Unterschied ausgemacht haben. Starke Anführer, die ihr Team durch die großen Schlachten ihrer Fußball Epoche führen. Spieler, die haufenweise Titel in ihrer Vitrine stehen haben. Die Schönheit Ihrer Spielweise wird oft nicht als wichtiges Kriterium für ihre Größe herangezogen. Sie ist allenfalls ein Beiwerk, dass gerne gesehen wird, aber am Ende nicht wirklich aussagekräftig ist. Doch jeder Fußballfan weiß tief in sich drin, wie sehr die Ästhetik des Spiels das Herz höher schlagen lässt. Ein wichtiges UND schönes Tor ist wohl das Unvergesslichste was ein Spieler erzielen kann. Ein zweiter großer Faktor, der bei der Bewertung oft hinten ansteht, ist der Status des Teamplayers. Von den Größten der Größten wird quasi erwartet, dass sie ein Team oft im Alleingang zum Sieg führen. Einzelaktionen und unvergessene Sololäufe sind oft mehr in Erinnerung als ein kontinuierlicher und unscheinbarer Beitrag zum Gesamterfolg. Zwar ist jedem klar, dass Fußball ein Teamsport ist, doch oft wirkt es so als würde beispielsweise ein Cristiano Ronaldo ein Team ganz alleine zu Titeln ballern. Doch nicht umsonst gibt Sir Alex Ferguson einst zu Protokoll:
Gebt mir Zidane und 10 Holzfiguren und ich gewinne die Champions League!
Ein größeres Kompliment kann die englische Trainer Legende dem französischen Weltfußballer kaum machen, denn eine wahre Fußball Legende macht jeden Mitspieler auf dem Platz ein bisschen besser. Zidane ist bis heute der meist gewählte Name, wenn es darum geht mit welchem Spieler man gerne sein Team aufbauen will. Und trotz der absoluten Masterclass des Franzosen gibt es für mich noch einen Namen, den man in Sachen Schönheit des Spiels gepaart mit Effizienz und Teamgeist ganz oben auf eine Rangliste setzen sollte. Und das, obwohl ihm Ersteres eigentlich niemals wirklich wichtig war. Unter den Spitznamen Iceman und der Nicht fliegende Holländer dominierte er jahrelang die Strafräume Europas. Die Rede ist vom Niederländer Dennis Bergkamp und das ist seine Geschichte.
MIT DEN ERSTEN SCHRITTEN
Die meiste Zeit war ich für mich alleine und habe den Ball gegen die Wand geschossen. Um zu sehen, wie er abprallt, zurückkommt und um ihn zu kontrollieren. Ich fand das extrem interessant. – Dennis Bergkamp
Dennis Nicolaas Maria Bergkamp wird am 10. Mai 1969 in Amsterdam geboren. Der fußballbegeisterte Junge wächst an der Seite von seinen drei älteren Brüdern auf und wird nach dem damaligen Spitzenfußballer Denis Law benannt. Sein Vater ist fußballbegeistert und kann nicht anders. Bergkamp spielt von Beginn an mit seinen Brüdern überall wo er nur kann Fußball, auf der Straße, im Park oder auf Hinterhöfen. Sobald er laufen kann, ist er ständig am Ball. Stundenlang schießt der das Spielgerät gegen eine Wand, um seine Ballkontrolle zu verbessern oder ahmt die Tricks großer Spieler nach. Sein Idol ist damals Glenn Hoddle von Tottenham, der junge Holländer versucht bei jeder Gelegenheit ihn zu imitieren. Schon in seinen unzähligen Spielen auf der Straße ist er Stürmer, doch mit den Matches auf dem Asphalt sollte es bald vorbei sein. Sein riesiges Talent bleibt nicht unentdeckt und er schließt sich bereits im Alter von elf Jahren einem der größten holländischen Fußball Klubs Ajax Amsterdam an. Es ist der erste Schritt von vielen, der seinen Kindheitstraum ein großer Fußballer zu werden, wahr werden lässt. Bergkamps Fähigkeiten werden in einer von Europas besten Fußballschulen immer weiter geformt. Er genießt die Freiheiten auf dem Platz, die bei Ajax Normalität sind. Die Trainer greifen zu dieser Zeit verglichen mit heute relativ wenig ins Training ein und der junge Mann aus Amsterdam kann sich nach seinem Gusto entwickeln. Ein gewisser Johan Cruyff ist zu dieser Zeit auch Jugendtrainer im Ajax Trainingscenter und kann sich schon sehr früh ein Bild vom unglaublichen Talent von Bergkamp machen. In der Ajax Fußballakademie geht es damals nicht ums Gewinnen, sondern darum Diamanten zu formen. Trotzdem wird nach jedem Jahr entschieden welche Talente das Privileg behalten dürfen für Ajax zu spielen. Bergkamp beschließt schon zu dieser Zeit, dass er schönen Fußball spielen will der Resultate einbringt.
Der schüchterne junge Niederländer ist hoch motiviert und trainiert wie ein Besessener, schon in jungen Jahren ist er immer am Streben nach Perfektion. Und so debütiert der aufstrebende Stürmer am 14. Dezember 1986 dann auch unter keinem geringeren Trainer als Johan Cruyff höchstpersönlich in der ersten Mannschaft von Ajax. Der provokante Trainer schleift Bergkamp von Beginn an und treibt ihn an seine Grenzen. Einmal wird das Jahrhunderttalent sogar für ein paar Wochen in die zweite Garde versetzt, nur um ihn noch mehr zu motivieren. Während Bergkamp sich wieder nach oben spielt revolutioniert Cruyff das strauchelnde Ajax. Mit seinem TOTAL FOOTBALL und einer einmaligen Ansammlung an Talenten schafft es das Amsterdamer Ensemble 120 Tore in Cruyffs Debüt-Saison zu erzielen. Ein Jahr später kommt Bergkamp ins Team und schafft es tatsächlich ein paar Wochen nach seinem Debüt schon die erste Elf. Bergkamp spielt regelmäßig und lernt von den großen Mitspielern, vor allem von Marco Van Basten. Nebenbei drückt der 17-Jährige weiterhin die Schulbank, ein Leben zwischen Extremen. Doch der begnadete Techniker schlägt ein, erzielt bereits zwei wichtige Tore in der Eredivisie und gewinnt mit Ajax am Saisonende sogar den Cup der Pokalsieger. Was für ein überragender Start für das Wunderkind!
ERWACHSEN WERDEN
Wenn Ryan Giggs 20 Millionen wert ist, dann ist Dennis Bergkamp 100 Millionen wert. – Marco van Basten, Stürmerlegende
Es ist Mai 1992 als Louis van Gaal, mittlerweile Ajax Trainer, sich das Mikrofon auf der Siegesfeier schnappt. Ajax hat soeben den UEFA Cup gewonnen und Van Gaal will etwas verkünden. EIN MANN! EIN MANN!, schreit er mit Nachdruck ins Mikrofon und nach einer kurzen Pause folgt: DENNIS BERGKAMP! Eine Szene, die den Stellenwert des Jungstars damals nur allzu gut beschreibt. Bergkamp hat sich nach seinem Debüt Schritt für Schritt nach oben gespielt. Nachdem Cruyff den Verein 1988 verlassen hat, herrscht bei Ajax Chaos und ein wildes Trainerkarussell beginnt sich zu drehen. Auch Bergkamp bleibt davon nicht unberührt und muss das ein oder andere Mal um seine Rolle im Team kämpfen. Als Van Gaal 1991 allerdings übernimmt, ist Bergkamp bereit und in der Form seines Lebens. Der ehemalige Co-Trainer weiß genau wie er den eleganten Zehner einsetzen muss und Bergkamp genießt zu Beginn volles Vertrauen und netzt quasi ununterbrochen. Doch Beziehungen zwischen Trainer und Spieler sind eben kein Disney Film und was sich zu Beginn perfekt anfühlt, verliert bald an Substanz. Bergkamp und Van Gaal driften immer mehr apart. Der immer noch junge Starspieler macht immer öfter sein eigenes Ding und folgt den Ratschlägen und Anweisungen von Van Gaal nicht mehr immer. Für den späteren Bayern Trainer ein absolutes No Go. Bergkamp liebäugelt immer mehr mit einem Wechsel nach Italien, er lechzt nach einer neuen Herausforderung. Als er seinen Wechsel zu Inter schließlich 1993 publik macht, ist das Tischtuch zwischen ihm und seinem Trainer endgültig zerschnitten. Van Gaal wird später schreiben, dass Ajax ohne Bergkamp sogar besser war als mit dem Starspieler.
Wenn man sich die Zahlen und Tore des Mannes aus Amsterdam anschaut, ist eine solche Aussage vollkommene Blasphemie. Bergkampf trifft in 185 Ligaspielen insgesamt 102 Mal für Ajax und liefert dazu 14 Vorlagen. Er wird dreimal Torschützenkönig, zweimal Hollands Fußballer des Jahres und gewinnt mit Ajax den Cup der Pokalsieger, den UEFA Cup, die holländische Meisterschaft und zweimal den holländischen Pokal. Dazu wird er 1992 Torschützenkönig bei der Europameisterschaft, in der Holland bis heute unfassbar im Halbfinale gegen den krassen Außenseiter Dänemark ausscheidet. Oranje kommt nicht über ein 2:2 hinaus und scheitert im Elfmeterschießen an der dänischen Auswahl. So bitter das Aus für den ambitionierten Bergkamp auch ist, so schön scheint der Blick nach vorne. Bergkamp wechselt 1993 zusammen mit seinem Vereinskollegen Wim Jonk zum großen Inter Mailand.
INTERMEZZO
Hinter jedem Pass muss eine Botschaft, ein Gedanke stehen. – Dennis Bergkamp
Anfang der Neunziger steht das große Inter Mailand mittlerweile im Schatten des Stadtrivalen AC. Mit dem Wunderstürmer Marco van Basten und dem innovativen Trainer Arrigo Sacchi hat Milan die Herzen und die Titel in Fußball Europa gewonnen. Der italienische Catenaccio scheint ausgedient zu haben und so will auch Inter auf Offensiv Fußball und Spektakel setzen. Deshalb holen sie Europas vielleicht begehrtesten Fußballer für eine Rekordsumme in die südlichen Gefilde. Inter Präsident Ernesto Pellegrini trifft Bergkamp höchstpersönlich zum Meeting und verspricht einige Systemumstellungen, eine offensivere Spielweise und wahrscheinlich einiges mehr was den 1,83 Meter großen Holländer schlussendlich überzeugt. Auch andere große Vereine wie Barcelona, Juventus und eben der AC Milan sind am aufstrebenden Stürmerstar interessiert. Und Bergkamp kam, sah und siegte wie ein anderer berühmter Italiener zu sagen pflegte. Allerdings nur im UEFA Cup. In elf Spielen auf internationaler Ebene netzt Bergkampf achtmal und gibt noch drei Vorlagen dazu. Inter holt den Titel und Bergkamp die Torjägerkrone des Wettbewerbs, so weit, so gut. Das ist es aber dann auch schon, was es Positives über Bergkamps Debütsaison zu berichten gibt. In der Serie A läuft es nicht und im Pokal erst recht nicht. Bergkamp ist frustriert, sieht sich oft alleine oder mit nur einem Mitspieler fünf gegnerischen Verteidigern gegenüber. Der Catenaccio ist immer noch Programm und Bergkamp ist kein Spieler, der wie beispielsweise Ronaldo im stoischen Alleingang die Abwehrreihen durchpflügt. Er braucht ein System, was zu ihm passt oder noch besser zu dem er passt. Es muss sich nicht komplett nach ihm richten, aber was Inter zu dieser Zeit spielt ist vielleicht das schlechteste Spielsystem für einen Stürmer vom Typus Bergkamp überhaupt. Auch ein Trainerwechsel in der zweiten Saison bringt für Bergkamp keine Hilfe. Ottavio Bianchi, ein Verfechter der defensiven Spielweise, macht es für Bergkamp sogar noch schwerer. Der eigentlich sympathische Mann aus Holland wird von der Presse verspottet wie kein anderer Spieler der gesamten Liga. In der gesamten Serie A Saison schießt er, auch von Verletzungen geplagt, nur zwei Tore. Nach zwei Jahren beschließt der Holländer das Intermezzo zu beenden und Italien zu verlassen. Seine Forderungen nach einem neuen Trainer und neuen Spielern wurden nicht erfüllt. In 72 Spielen für Inter netzt er magere 21 Mal ein und gibt dazu vier Vorlagen. Seine Karriere auf Vereinsebene hat einen herben Dämpfer erhalten.
Einen ganz anderen Dennis Bergkamp erleben die Fußballfans im Dress der Oranje. Bergkamp zündet immer wieder den Ballermann und auch bei der Weltmeisterschaft 1994 lässt er sich nicht lumpen. Schon in der Quali hat Bergkamp fünf Mal genetzt, doch in den USA setzt er nochmal einen drauf. Drei wichtige Tore sind es in der Endrunde, davon zwei in K.O Spielen gegen Irland und Brasilien. Gegen das Team um Wunderstürmer Romario ziehen die Holländer allerdings mit 2:3 den Kürzeren. Es ist eines der besten Spiele des Turniers und auch einige fragwürdige Entscheidungen des Schiedsrichters lassen bei den Holländern viel Frust zurück. Dieser verfolgt Bergkamp im Vereinsleben sowieso schon zu Genüge. Bergkamp verlässt unter massiver medialer Kritik die vielleicht damals beste Liga der Welt und schließt sich 1995 dem FC Arsenal London an.
THE ICEMAN
Wenn er im Schnee gespielt hätte, hätte er keine Fußabdrücke hinterlassen. – John Hartson, ehemaliger Teamkollege
Und was in London nach Bergkamps Ankunft passiert ist nicht weniger als ganz ganz große Fußballgeschichte. Der Niederländer erreicht Arsenal als Mittelklasse Club, das Team ist unter anderem von Alkoholproblemen mehrerer Spieler zerfressen. Dem Holländer selber sitzt der Druck im Nacken und als er anfangs nicht trifft, fängt die Presse an den bis dato teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte zu kritisieren. Doch Bergkamp bringt sie mit einem atemberaubenden Tor gegen Southampton zum Verstummen. Am Ende seiner ersten Saison hat er fast zweistellige Scorerpunkte zu verzeichnen und trifft im entscheidenden Spiel um den Europacup Einzug gegen Bolton, alles erste Indizien dafür, dass es für Bergkamp wieder bergauf geht. Ein weiteres folgt im September 1996, als der französische Trainer Arsene Wenger sich im Highbury die Ehre gibt. Wenger ist zu diesem Zeitpunkt in England noch recht unbekannt, doch das sollte sich schon schnell ändern. Der Franzose schätzt Bergkamp immens und vertritt zudem die Philosophie des TOTAL FOOTBALL, jenen positionen losen Ansatz den Bergkamp seit seiner Jugend aufgesaugt hat. Der Niederländer ist über anfängliche Zweifel schnell hinweg und es geht steil nach oben. Wenger setzt Bergkamp auf unterschiedlichen Positionen ein und baut seine Offensive um ihn herum auf. Bergkamp ist zu dieser Zeit auf nahezu allen Offensiv Positionen zu finden und strahlt kühle Torgefahr aus: mit Lupfern, Distanzschüssen und auch Abschlüssen nahe am Tor. Bereits im zweiten Jahr unter Wenger holen die Gunners das Double aus Meisterschaft und Pokal. Dennis Bergkamp hat als absoluter Schlüsselspieler ein Mittelklasse Team zu Meisterehren geführt. Er wird zum Spieler der Saison in England gewählt und glänzt mit einer unglaublichen Schönheit in seinen Aktionen, die jedoch gleichzeitig brutal effizient sind. Die kommende Weltmeisterschaft in Frankreich scheint für den Niederländer genau zum richtigen Zeitpunkt stattzufinden.
Bergkamp leidet seit den frühen Tagen seiner Karriere an immenser Flugangst und verdient sich so seinen Spitznamen: der Nicht Fliegende Holländer. So hat er Glück, dass die großen Turniere seiner Zeit alle in gut erreichbaren Territorien stattfinden. Bei der Europameisterschaft 1996 hat sich ein zerstrittenes holländisches Team bereits im Viertelfinale verabschiedet, die Zeichen für 1998 stehen aber anders. Viele Stars sind in Topform und neben Bergkamp brillieren unter anderem Patrick Kluivert, Edgar Davids, Frank de Boer und Clarence Seedorf unter Nationalcoach Guus Hiddink. Die Niederlande hat das Zeug zum Titel, da sind sich alle Experten einig. Und Oranje spielt in Frankreich tollen Fußball und erreicht relativ problemlos das Viertelfinale. Hier warten die unangenehmen Argentinier, die mit 2:1 aus dem Weg geräumt werden. Das Siegtor von Bergkamp kurz vor Schluss ist für viele Fußballfans das beste Tor des Turniers und eines der Besten der Geschichte. Bergkamp nimmt einen langen Pass von Frank de Boer mit einer Berührung an, setzt mit der nächsten Roberto Ayala außer Gefecht und netzt mit der dritten Berührung ein. Unfassbar und Unvergessen! Trotz breiter Brust und besserer Leistung scheitern die spielstarken Holländer allerdings wie schon vier Jahre zuvor erneut an Brasilien. Im Halbfinale ist mal wieder im Elfmeterschießen schluss. Dennis Bergkamp fährt frustriert zurück nach England. Hier warten allerdings goldene Zeiten auf den Dutch Master.
DIE UNBESIEGBAREN
Dennis Bergkamp ist der beste Mitspieler, den ich je hatte. Er hat immer das gemacht, was das Spielgeschehen von ihm verlangte. – Thierry Henry, Mitspieler von Messi, Ronaldinho und Zidane über Dennis Bergkamp
Bei Arsenal London braut sich in dieser Zeit etwas zusammen, was die englische Fußballwelt erschüttern wird. Mit Thierry Henry, Roberto Pires und Nwankwo Kanu werden einige Stars in den Norden Londons gelockt. Und zusammen mit Dennis Bergkamp entwickelt sich eine Offensive die seines gleichen sucht. Wenger, der neben der Taktik auch die Ernährung und Lebensweise der Spieler verändert, formt eine unvergessliche Mannschaft die 2002 erneut das Double holt. Man ist mittlerweile auf Augenhöhe mit dem großen Manchester United und Sir Alex Ferguson. Was dann in der Saison 2003/04 folgt, hat bis heute einen richtig fetten Eintrag in den Fußball Geschichtsbüchern. Vor der Saison wird das eingespielte Team noch mit der deutschen Torwartlegende Jens Lehmann verstärkt und die Gunners sind bereit für alles. Die Invincibles pflügen durch die Liga und werden am Ende UNGESCHLAGEN Englischer Meister. Dies hat es seit 115 Jahren nicht mehr gegeben, zuletzt 1888/89 durch Preston North End. 73 Tore und 90 Punkte, eine Offensive die seinesgleichen sucht. Mittendrin Dennis Bergkamp, der mittlerweile in einer etwas angepassteren Rolle hauptsächlich als Vorlagengeber glänzt. Sein Spiel ist in dieser Zeit wirklich am Peak angekommen und der Niederländer spielt Pässe aus dem Fußgelenk wie sie, die Premier League noch nie gesehen hat. Tore schießt er allerdings auch noch und was für welche. In einem Ligaspiel gegen Newcastle am 2. März 2002 erzielt er ein unglaubliches Tor, was mit Worten kaum zu beschreiben ist. Immer wieder wirkt es als würde Bergkamp die Schwerkraft außer Kraft setzen, atemberaubende Lupfer und unglaubliche Ballannahmen sind an der Tagesordnung. Bergkamp wirkt oft wie ein Zen-Meister auf dem Platz, solch eine Ruhe strahlt er aus. Seit seiner Ankunft hat sich Arsenal von einem innerlich angeschlagenen Club im Mittelfeld der Tabelle zum absoluten Top Club der Premier League entwickelt, noch vor dem Starensemble von Manu. Bergkamp hat in der zweiten Hälfte seiner Karriere ein unglaubliches Meisterstück vollbracht.
Mit der Nationalmannschaft steuert Bergkamp währenddessen schon in den Hafen seiner Karriere ein. Die EURO 2000 im heimischen Holland wird sein letztes großes Turnier sein. Er hält es allerdings geheim, sodass er nicht die Schlagzeilen bestimmt. Und das Team gespickt mit Weltstars scheint noch besser zu sein als zwei Jahre zuvor in Frankreich. Bergkamp und Co. fliegen durch die Gruppenphase und ballern im Viertelfinale Jugoslawien mit 6:1 aus dem Turnier. Im Halbfinale folgt dann die vielleicht einseitigste Niederlage der Fußballgeschichte. Holland dominiert 120 Minuten gegen aufopferungsvoll verteidigende Italiener, verschießt zwei Elfmeter in der regulären Spielzeit, hat Aluminium Pech und fliegt dann im Elfmeterschießen aus dem Turnier. Es ist Bergkamps letztes Spiel für Oranje, auch er findet keine finalen Mittel gegen den italienischen Zement. Insgesamt erzielt Bergkamp in 79 Länderspielen 37 Tore und gibt dazu zehn Vorlagen. Trotz teilweise überragender spielerischer Leistungen hat es mit der Nationalmannschaft nie zum ganz großen Sprung auf das Titelpodest gereicht.
Und auch bei Arsenal neigt sich die illustre Karriere des Iceman langsam dem Ende entgegen, die Saison 2006 wird seine letzte sein. Am Stürmer, der es immer geschafft hat ohne überragende Athletik zu glänzen, nagt der Zahn der Zeit. Doch die letzte Saison wird nochmal ein ganz heißer Ritt für den Niederländer, vor allem auf Europäischer Bühne. Nach dem Sieg im FA-Cup 2005 ist Bergkamp mittlerweile 36 Jahre alt und doch spielt er im Team mit seiner Persönlichkeit immer noch eine wichtige Rolle. Arsenal schafft es bis ins Finale der Champions League, verliert dort allerdings gegen den großen FC Barcelona um den zu dieser Zeit bärenstarken Ronaldinho. Nach dieser Saison zieht Dennis the Menace einen Schlussstrich unter seine unglaubliche Fußballkarriere. Für Arsenal markiert er insgesamt 120 Treffer und beinahe ebenso viele Assists. Elf Jahre lang ist er den Gunners auf dem Zenit seines Schaffens treu. Er hat einem lahmen Pferd wieder Leben eingehaucht und es in England geschafft sein volles Potenzial abzurufen. Im Mai 2006 verlässt er Arsenal als Legende und vielleicht als der Spieler mit der größten Spielästhetik gepaart mit Effizienz, den die Premier League je gesehen hat.
VERMÄCHTNIS
Ich liebe Fußball, draußen auf dem Platz zu sein mit dem Ball. Und ich werde immer etwas traurig, wenn es vorbei ist. – Dennis Bergkamp
Dennis Bergkamp war einer der größten Spieler die jemals das Trikot von Arsenal London getragen haben. Nicht umsonst steht vor dem heutigen Emirates Stadium eine einzigartige Statue des Iceman. Doch wenn man sich das Versprechen, dass Bergkamp als junger Spieler war, vor Augen hält, stellt sich noch eine weitere Frage:
Ist Dennis Bergkamp einer der besten Fußballer aller Zeiten?
Hat der unglaubliche Techniker sein komplettes Potenzial ausgeschöpft?
Wo steht er wirklich im Vergleich mit den ganz Großen?
Gemessen an Zahlen, Statistiken und Titeln kann der Holländer mit den Größten seiner Zunft nicht mithalten.
Drei Weltmeistertitel wie Pele? Bergkamp hat es mit Oranje niemals über das Halbfinale eines großen Turniers hinaus geschafft.
Über 600 Tore wie Lionel Messi? Bergkamp bringt es auf 250.
Fünf Trophäen als Weltfußballer wie CR7? Bergkamp war zweimal unter den Top Drei.
Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass es erfolgreichere Fußballer gab als Dennis “The Iceman” Bergkamp. Doch eine Frage sei an dieser Stelle noch erlaubt:
Der Profifußball hat unglaubliche Tore gesehen. Aus dem Vollsprint heraus, unglaubliche Direktabnahmen, Distanzschüsse aus enormer Distanz oder Dribblings über das ganze Spielfeld.
DOCH WELCHER ANDERE SPIELER IN DER GESCHICHTE DES PROFIFUSSBALLS HAT JEMALS AUF HÖCHSTEM NIVEAU EIN SOLCHES TOR GESCHOSSEN WIE DENNIS BERGKAMP GEGEN NEWCASTLE 2002?
Mir fällt kein anderer ein….
SEHR EMPFEHLENSWERTE DOKU ÜBER DENNIS BERGKAMP
Quelle Titelbild: flickr.com – Ronniemacdonald
DAS Buch über Dennis Bergkamp und seine Karriere: Stillness and Speed
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
Reinhören und gleich anfragen:
TOE TO TOE RUNDE ACHT
Dinge ändern sich doch eine Sache bleibt: TOE TO TOE läuft Donnerstags um 21 Uhr auf dem Youtube Kanal von fight24.tv.
Tim Yilmaz und ich schwelgen diesmal in Erinnerungen und analysieren für Euch vier große Olympiasieger, die Profi geworden sind.
Eine Generationen-übergreifende Folge, die keine Fragen offen lässt.
Wie immer aus dem BC Mariposa in Sendling.
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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DER BOMBER DER NEUNZIGER
Es ist der 30. November 1997. An sich ein Abend wie jeder andere in Leverkusen, der Stadt im Rheinland. Was sich allerdings in den 90 Minuten auf dem Rasen des dortigen Ulrich Haberland Stadions abspielt, haben die ansässigen Fußballfans noch nie erlebt. Im Stadion, dass nach einem berühmten Chemiker benannt ist, dreht das Team von Bayer 04 Leverkusen einen 0:2 Rückstand gegen den Branchenprimus FC Bayern München. Was an sich sowieso schon eine Aufnahmeleistung ist, wird durch die Tatsache noch verstärkt, dass die Bayer-Elf ab der 33. Minute in Unterzahl spielt. Das Team vom damaligen Trainer Christoph Daum hat somit alle vier Tore in Unterzahl erzielt. Man kann die Aufholjagd jetzt natürlich darauf zurückführen, dass die Umstellungen von Coach Daum mit unter anderem Ramelow in extrem defensiver Rolle der entscheidende Faktor war. Doch da ist noch ein Mann auf dem Platz, der mit seinen drei Toren die Bayern quasi im Alleingang abschießt. Vor Allem das zweite und entscheide zum 3:2 ist eines wie nur er es “schießen” kann. Ein krummer von Thomas Helmer abgefälschter Ball kommt irgendwie an den Rand des Fünfmeter-Raumes und er steht goldrichtig. Trotz Gegenspieler köpft er den Ball unhaltbar für die heutige Torwartlegende Oliver Kahn in die Maschen. Es ist bereits die 90. Spielminute, Leverkusen gewinnt am Ende mit 4:2, noch ein Tor von ihm. Alles in allem ein Hattrick in 21. Minuten. Fast 10 Millionen Zuschauer auf SAT1 sind Zeuge dieser überragenden fußballerischen Leistung. Es ist das vielleicht größte Spiel in der Karriere des Mannes, der die Bundesliga Strafräume in den Neunziger Jahren prägt wie kein anderer. Die Rede ist von der Stürmerlegende Ulf Kirsten und dass seine Karriere als Profifußballer in dieser Form verläuft ist alles andere als absehbar.
JUNG UND WILD
Ich bin eigentlich nicht der Typ, der vor dem Tor noch großartige Tänzchen veranstaltet. Mein Fall ist: Augen zu und druff! – Ulf Kirsten
Ulf Kirsten wird am 4. Dezember 1965 in Riesa, in der DDR geboren. Er wächst im kleinen Dorf Gohlis in der Nähe Riesas mit seinen zwei Schwestern auf. Sein Vater betreibt einen Elektronikladen. Schon von Kindesbeinen an ist Kirsten in den Fußball, der in Sachsen aufgrund von Helmut Schön eine große Tradition hat, verliebt. Er widersetzt sich vehement dem Wunsch seines Vaters Radsportler zu werden und beginnt bereits im Alter von sechs Jahren bei Chemie Riesa mit dem Ballsport. Nachdem er seine Kindheit bei Chemie kickt, wechselt er 1978 zum Nachbarclub Stahl Riesa. Es sollte ein kurzes Intermezzo werden, denn die Talentspäher des großen Dynamo Dresden werfen ein Auge auf Ulf Kirsten. Eine Empfehlung vom damals bekannten Trainer Walter Fritsch reicht und Kirsten wechselt im Alter von 13 Jahren zum großen Dynamo Dresden.
Dresden hat bereits damals ein Sportinternat, ist somit vielen Vereinen in ganz Deutschland voraus. Kirsten kommt in den Genuss von zwei bis drei Trainingseinheiten am Tag, ein absoluter Traum für den fußball besessenen Jugendlichen. Zunächst spielt der junge Mann, der in früher Jugend ein Fan des großen FC Bayern München ist, im rechten Mittelfeld und wechselt wenig später auf die rechte Außenbahn. Kirsten trainiert wie verrückt und sein Einsatz zahlt sich aus. Bereits 1983 im frischen Alter von 17 Jahren wird Kirsten unter Klaus Sammer in die erste Mannschaft von Dynamo berufen. Die Erste von Dresden kickt damals in der höchsten Spielklasse der DDR, der Oberliga. Seine große Disziplin hat sich ausgezahlt. Der junge Kirsten ist am ersten Ziel seiner Träume angekommen.
Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0503-031 / Oberst, Klaus / CC-BY-SA 3.0
OBERLIGA
Dort, wo andere den Fuß wegziehen, geht Kirsten mit dem Kopf hin. – Eduard Geyer, Ehemaliger DDR-Nationaltrainer
Und der junge Mann aus Riesa zeigt auch gleich, dass er der Aufgabe gewachsen ist. Nach einem Mini-Leistungsknick zu Beginn, setzt er sich bei Dresden durch und wird bereits im Frühjahr 1985 in die Nationalmannschaft der DDR berufen. Im selben Jahr holt Kirsten in einem denkwürdigen Endspiel auch seinen ersten Titel mit Dynamo: Den FDGB-Pokal. Kirsten ist mittlerweile eine Stütze der Mannschaft und spielt im Sturm.
In den folgenden Jahren feiert der Schwatte, wie Kirsten genannt wird, mit Dresden immer wieder Erfolge. Unvergessen der Einzug ins UEFA-Cup Halbfinale 1989 und die beiden Meistertitel 89 und 90. Im letzten Jahr gelingt den Spielern von Dynamo sogar das Double. Das Dresdner Ensemble wird mittlerweile von einem gewissen Eduard Geyer trainiert. Auch in der Nationalmannschaft der DDR ist Kirsten eine feste Größe, sein größtes Highlight sind hier seine drei Tore in einem Spiel gegen die USA in Berlin 1990. Im Herbst 1990 hat Kirsten im Alter von 24 Jahren bereits 49 Länderspiele und 14 Tore auf dem Buckel. Dass es nicht mehr werden, verhindern gewisse politische Entwicklungen die auch als die Wende bezeichnet werden. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung ist auch in Fußball Deutschland nichts mehr wie es war. Und ein gewisser Rainer Calmund, seiner Zeit Manager bei Bayer 04 Leverkusen, nimmt zu dieser Zeit über seinen Spieleragenten Wolfgang Karnath Kontakt mit dem Vollblutstürmer aus Riesa auf. Sein großer Einsatzwille und Kampfgeist haben sich in den Westen rumgesprochen.
KARNATH VERSTÄRKT UNDERCOVER DIE BAYER-ELF
DER GOLDENE WESTEN
Ich habe alle vier Heimspiele von Bayer 04 in der Champions League hautnah am Spielfeldrand hinter dem Tor der Gegner miterlebt. Spätestens seitdem weiß ich, was der Spruch bedeutet: Der Kirsten geht dahin wo es wehtut. – Waldemar Hartmann, Sportmoderator.
Während der Zeit des Umbruchs befindet sich Kirsten in Trainingslagern um sich auf sportliche Herausforderungen vorzubereiten. Als die Mauer am 9. November fällt, ist der Schwatte mit seinen Sportkameraden der DDR Nationalmannschaft in der Leipziger Sportschule und bereitet sich auf die letzte Chance vor sich noch für die kommende Fußball Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Beim 0:3 gegen Österreich wirken viele Spieler der Auswahl allerdings als wären sie nicht so ganz bei der Sache. Im Innenraum des Stadions wird dann ein gewisser Matthias Sammer von Karnath angesprochen. Noch am selben Abend bringt Sammer Kirsten und Karnath zusammen. Auch Olaf Thom ist mit von der Partie, letzterer und Kirsten wechseln schließlich nach einigem Hin und Her zur neuen Saison zum Werksclub Bayer 04 Leverkusen. Das Team mit dem Pharmakonzern im Rücken ist in der letzten Saison Fünfter geworden und will mit den Neuzugängen ganz oben angreifen. Andere Angebot, wie beispielsweise das von Inter Mailand, lehnt der Sachse ab. Kirsten verlässt die DDR-Oberliga mit einer Bilanz von 154 Spielen und 57 Toren und wird 1990 auch noch zum DDR Fußballer des Jahres gewählt. Doch die neue Herausforderung im Rheinland und ein Leben im Westen warten schon und Kirsten blickt nicht mehr zurück.
Die Mannschaft von Bayer 04 befindet sich zu dieser Zeit in einem Umbruch, neben Kirsten und Thom treffen einige weitere Neuzugänge bei der Werkself ein. Noch ist auch der 1. FC Köln die klare Nummer Eins in der Region, eine Sache die sich bald ändern wird. Kirsten trifft gleich in seinem ersten Spiel für Bayer und in den ersten beiden Jahren schießt Kirsten insgesamt 11 beziehungsweise 12 Tore in der Bundesliga. Angebote von Hellas Verona und dem SSC Neapel lehnt er in dieser Zeit ab und in seiner dritten Saison bei der Werkself kommt dann die Leistungsexplosion. In der Saison 92/93 ballert der Schwatte den Ball sagenhafte 20 Mal in der höchsten deutschen Spielklasse ins Netz. Der 27 Jahre alte Mann aus Riesa wird nicht nur zusammen mit Anthony Yeboah Torschützenkönig, sondern holt mit Bayer im Endspiel gegen die Amateure von Hertha BSC Berlin auch noch den DFB-Pokal. Er schießt im Auswärts Finale in der 77. Minute das entscheidende 1:0 für die Werkself. Es ist bis dahin das mit Abstand erfolgreichste Jahr für den Ausnahme Stürmer im Westen, auch für die Deutsche Nationalmannschaft hat er zum Jahresende bereits neun Spiele bestritten und zwei Tore erzielt, die Teilnahme an der WM 1994 ist durchaus ein realistisches Ziel für den Schwatten.
BAYER 04 GEWINNT DEN DFB-POKAL
DER STÜRMER DER NEUNZIGER
Ich sehe in Ulf meinen legitimen Nachfolger. – Gerd Müller
Leverkusen erreicht in der darauffolgenden Saison 93/94 mit dem dritten Platz das beste Resultat der Vereinsgeschichte. Im Cup der Pokalsieger scheitert die Werkself erst im Viertelfinale an Benfica Lissabon. Der bullige Sachse, mit einer Gerd Müller ähnlichen Statur, trägt seinen Beitrag dazu bei und wird im Cup der Pokalsieger sogar Torschützenkönig. Kirsten erzielt dazu starke zwölf Saisontore und sichert sich so einen Platz im Kader bei der Weltmeisterschaft in Amerika. Die Konkurrenz im Sturm könnte allerdings größer nicht sein, vor allem Rudi Völler und Jürgen Klinsmann scheinen für den Sachsen nicht zu verdrängen. Und so erlebt Kirsten, auch wegen einer Verletzung, keine einzige WM-Minute auf dem Rasen. Es ist eine der bitteren Erfahrungen in seiner Fußballkarriere, die auch durch eine alte Stasi-Affäre belastet wird. Zurück im Vereinsdress verwandelt der Vollblutstürmer seinen Frust allerdings ganz schnell wieder in Tore. 15 sind es im Jahr nach der WM und nach der Seuchensaison 96 legt Kirsten richtig los. 1997 und 1998 zündet sein Ballermann je 22 Mal, er wird Torschützenkönig. Und das obwohl er in der letzteren Saison einige Spiele wegen eines Ellbogen Checks gegen Thomas Linke verpasst. Der neue Bayer Trainer Christoph Daum hat Kirstens Selbstvertrauen nochmal gestählt. Was wenige wissen: Kirsten steht nach der schwachen Saison 1996 kurz vor dem Abflug nach Lissabon. Doch Daum will Kirsten um jeden Preis behalten und der zahlt das Vertrauen auf dem Platz in baren Toren zurück. Sogar seinen Stil verändert der Mann aus Sachsen unter Daum, wirkt vor dem Tor noch kühler und abgeklärter. Kirsten ist zu diesem Zeitpunkt für viele der Ausnahmestürmer in Deutschland, ein Brecher mit Torinstinkt wie ihn sich jeder Trainer wünscht. Auch in der Nationalmannschaft scheint Kirsten gute Chancen auf einen Stammplatz zu haben. Gegen Albanien schießt er drei immens wichtige Tore im Kampf um die WM-Quali, im März 1998 trifft er gegen den amtierenden Weltmeister Brasilien als einziger Stürmer in einem Härtetest vor der WM. Kirsten besitzt einen angeborenen Torinstinkt wie kaum ein anderer Stürmer jemals in der Bundesrepublik. Mit Leverkusen wird er Dritter in der Bundesliga und Kirsten scheint prädestiniert in Frankreich für Deutschland zu stürmen.
WIEDER NICHTS
Er hat angezeigt, dass er in einer Minute ausgewechselt werden will. – Christoph Daum, ehemaliger Trainer von Bayer Leverkusen, über den Mittelfinger ins Publikum von Ulf Kirsten
Doch obwohl Bundestrainer Berti Vogts Kirsten angeblich sehr schätzt und der Schwatte in vier WM-Spielen eingewechselt wird, kommt der Leverkusener im Sturm nicht an EM-Held Oliver Bierhoff und Jürgen Klinsmann vorbei. Da er schon die vorherige Europameisterschaft wegen Formschwäche verpasst hat, ist das Ausscheiden der Deutschen im Viertelfinale gegen Kroatien vermutlich auch das Aus für Kirstens Traum von einem großen Titel mit dem Nationalteam. Ganz anders sieht es da in der Bundesliga aus. Leverkusen blüht unter Christoph Daum immer weiter auf und Kirsten trägt mit guter zweistelliger Torausbeute dazu bei, dass die Werkself sogar kurz vor der ersten Meisterschaft in Deutschlands höchster Spielklasse steht. In Leverkusen wird Kirsten vergöttert, seine Malocher-Mentalität und großer Teamgeist imponiert den Bayer-Fans. Er schafft auch in dieser Zeit noch außergewöhnliches, schießt beispielsweise sowohl im Hin- als auch im Rückspiel gegen Mönchengladbach drei Tore. Spielerisch hat er sein Spiel endgültig an den Zenit gebracht. Doch in der 2000er Saison verzockt das spielstarke Team von Christoph Daum den Titel am letzten Spieltag in Unterhaching und nachdem Kirsten auch mit Deutschland bei der EM 2000 sang und klanglos untergeht, schließt sich das fußballerisches Karriere Fenster des Schwatten langsam. Der Sachse ist zum Saisonstart 2001 bereits 35 Jahre alt, seine unglaubliche Reaktionsgeschwindigkeit im Strafraum lässt langsam nach. Doch einen großen Lauf sollte der Jahrhundertstürmer mit Bayer 04 noch erleben.
KIRSTENS LEGENDÄRER HATTRICK GEGEN DEN FC BAYERN
FINALE
Ich habe schon viele Stürmer gesehen. aber keinen wie Kirsten. Wie er ackert, kämpft, rennt, sich für das Team zerreißt und auch noch trifft – heller Wahnsinn. – Giovanne Elber, Stürmerlegende bei Bayern München
Nach Christoph Daums Entlassung folgt für Bayer 04 eine semi erfolgreiche Saison unter Ex-Bundestrainer Berti Vogts. Als nach ihm Klaus Toppmöller anheuert, erlebt Bayer 04 die mit Abstand erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte auf internationaler Ebene. Das Team um Kapitän Michael Ballack rollt durch die Bundesliga. Geeint von Topmöller steht die Mannschaft, daie neben Ballack auch noch Ze Roberto, Lucio, Bernd Schneider und Jens Nowonty intus hat, kurz vor Saisonende sogar im Finale der Champions League und des DFB-Pokals. Doch eine Verletzung von Jens Nowotny und die fehlende Tiefe im Kader machen sich bemerkbar. Bayer verliert beide Endspiele und landet in der Liga auch nur auf Platz zwei. Die wahrscheinlich spiel-stärkste Leverkusener Elf aller Zeiten steht am Ende mit komplett leeren Händen da. Kirsten trifft wettbewerbsübergreifend noch 16 Mal, kann aber die Niederlagen auch nicht verhindern. Die darauffolgende Krisensaison erlebt der Schwatte als Stand-By Profi, der hilft wo er nur kann. Das letzte Bundesligajahr von Ulf Kirsten beendet die Werkself auf dem 15. Platz. Kirsten selbst beendet seine große Fußballkarriere mit insgesamt 182 Bundesligatreffern. Übergreifend trifft er in 626 Vereins Spielen 305 Mal, in beiden Nationalmannschaften netzt er in 100 Länderspielen 34 Mal. Er belegt Stand heute den 7. Platz der ewigen Torschützenliste der Bundesliga. In der DDR-Oberliga liegt in der ewigen Torjägerliste auf dem 21. Platz. Es sind an sich die Zahlen eines ganz Großen.
Wenn bei Auswärtsspielen keiner ruft: „Kirsten, Du Arschloch“, dann weiß ich genau, daß ich schlecht bin. – Ulf Kirsten
Ulf Kirsten ist ohne Zweifel einer der besten Stürmer, den die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat. Er ist in seiner Karriere von Verletzungen nicht verschont geblieben und hat trotzdem eine unglaubliche Torausbeute an den Tag gelegt. Doch eines ist nicht von der Hand zu weisen: Im Verhältnis zu seinen Fähigkeiten und Toren hat Ulf Kirsten wenige Titel gewonnen. Auch er ist vom Leverkusener Vizekusen-Fluch nicht verschont geblieben. Er war Teil der besten Leverkusener Mannschaften aller Zeiten und doch hat es mit der Werkself nur zu einem Titel gereicht: Dem Sieg im DFB-Pokal 1993. Trotzalledem ist Kirsten in Leverkusen mit 240 Toren in 448 Spielen eine absolute Legende.
IN DER MITTE VON STÜRMERLEGENDEN –
ULF KIRSTEN IN DER EWIGEN TOP 10 DER BUNDESLIGA
Platz 1: Gerd Müller – 427 Spiele – 365 Tore – 0,855 Tore pro Spiel
Platz 2: Klaus Fischer – 535 Spiele – 268 Tore – 0,5 Tore pro Spiel
Platz 3: Robert Lewandowski – 317 Spiele – 231 Tore – 0,73 Tore pro Spiel
Platz 4: Jupp Heynckes – 369 Spiele – 220 Tore – 0,6 Tore pro Spiel
Platz 5: Manfred Burgsmüller – 447 Spiele – 213 Tore – 0,48 Tore pro Spiel
Platz 6: Claudio Pizarro – 487 Spiele – 197 Tore – 0,41 Tore pro Spiel
Platz 7: Ulf Kirsten – 350 Spiele – 182 Tore – 0,52 Tore pro Spiel
Platz 8: Stefan Kuntz – 449 Spiele – 179 Tore – 0,4 Tore pro Spiel
Platz 9: Dieter Müller – 303 Spiele – 177 Tore – 0,58 Tore pro Spiel
Platz 10: Klaus Allofs – 424 Spiele – 177 Tore – 0,42 Tore pro Spiel
In der Nationalmannschaft hatte er Pech, dass er in der Gunst der Trainer nie ganz oben stand oder vor allem 1994 mit Klinsmann und Völler extrem starke Konkurrenz hatte. Auch in der Retroperspektive wirkt es unglaublich, dass ein Mann mit seiner Torausbeute niemals einen festen Stammplatz im Deutschen Nationalteam hatte. Doch vielleicht unterstreicht gerade die heutige missliche Lage im deutschen Sturm noch einmal den Wert eines Ulf Kirsten. Ein Vollblutstürmer wie er ist einfach eine absolute Seltenheit, denn nicht umsonst fragt sich ganz Fußball Deutschland quasi nach jedem tor armen Länderspiel: Wann wird es wieder einen echten Neuner wie Ulf Kirsten geben?
ULF KIRSTEN BEI BAYER 04 HIGHLIGHTS
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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IMMER WIEDER TOE TO TOE
Der jetzt schon legendäre Fight Talk TOE TO TOE aus dem BC Mariposa geht in die siebte Runde, diesmal mit Stargast Howik „dem Löwen“ Bebraham.
Der führende Leichtgewichtler in Deutschland spart im Gespräch mit mir nicht mit Anekdoten.
Live zu sehen heute Abend um 21 Uhr bei fight24.tv auf Youtube.
Einschalten, Freunde!
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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TOE TO TOE RUNDE SECHS
Morgen Abend ist es wieder soweit, die jetzt schon legendäre Show TOE TO TOE aus dem Mariposa BC geht in die nächste Runde.
Patrick „The Patriot“ Rokohl hat sich unseren Fragen gestellt und plaudert aus dem Nähkästchen.
Die ganze Show läuft wie immer beim vielleicht letzten vertrauenswürdigen Kampfsportsender: fight24.tv
Einschalten und Genießen!
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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TOE TO TOE SPEZIAL
Der neue Fight-Talk auf fight24.tv geht in die nächste Runde, diesmal mit Gast!
Der Deutsch-Grieche Alexander Rigas aus Weilheim steht mir im BC Mariposa im Interview Rede und Antwort.
Ein interessanter Einblick in das Leben, das Mindset und die Karriere des aufstrebenden Profiboxers.
Für alle Fight-Fans ein Muss, für alle die es werden wollen auch.
Donnerstag 21 Uhr auf dem Youtube Kanal von fight24.
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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NUMMER EINS BITTE VORTRETEN
Mit freundlicher Unterstützung von Tim Yilmaz und dem Mariposa Boxing Club und powered by TOE TO TOE.
Der März ist ein historischer Monat für das britische Profiboxen. Erstmals in der Geschichte des Faustfechtens sind drei Briten auf den ersten drei Plätzen der Ring Magazine Top 10 Rangliste im Schwergewicht. Während über den dritten Platz von Dillian Whyte noch diskutiert werden kann, sind die ersten beiden Gentleman derzeit außer Frage die besten ihres Fachs. Tyson Fury und Anthony Joshua, sind in der Reihenfolge, für viele Boxexperten die absolute Elite im Profiboxgeschäft. Beide sind Briten, beide sind Klitschko-Bezwinger und beide sind aktuell amtierende Weltmeister. Das sind aber wahrscheinlich schon alle Gemeinsamkeiten die man zwischen den beiden charismatischen Engländern ausmachen kann.
Während Fury in der Vergangenheit fast genauso häufig durch seine Eskapaden wie durch seine boxerischen Erfolge aufgefallen ist, nimmt man Joshua als Strahlemann wahr dessen Lächeln aus einer Zahnpastawerbung stammen könnte. Trotz seiner ebenfalls teilweise kriminellen Vergangenheit hat er ein Image das sauberer kaum sein könnte. Nachdem die beiden Giganten zuletzt ihre härtesten Widersacher aus dem Weg geräumt haben, scheint die Zeit für den direkten Vergleich gekommen. Die gesamte Boxwelt wünscht sich nichts mehr, als den Gypsy King und AJ im selben Seilgeviert zu sehen. Doch werden die Interessen der Promoter und der Branche, die so oft den Takt des Schwergewichtsboxens vorgeben diesen Mega-Fight möglich machen? Die Antwort wird die Zeit bringen. Bis dahin analysieren wir ein mögliches Match-Up der amtierenden Weltmeister im Detail und stellen die wohl relevanteste hypothetische Frage im Boxsport: Tyson Fury gegen Anthony Joshua – Wer würde gewinnen?
DER MANISCHE KÖNIG
Ich kämpfe für alle die hinter mir stehen, all die Menschen mit psychologischen Problemen oder Süchten. – Tyson Fury
Der Gypsy King wird am 12. August 1988 in Manchester geboren und wächst in einer Familie der Irish Travellers auf. Eine raue Kindheit und ein früher Abgang von der Schule sind in diesen Kreisen Standard. Genauso wie das Kämpfen und sich regelmäßig den Schwierigkeiten des Lebens zu stellen. Mit dem Boxen beginnt Fury mit 14 Jahren und sein Talent wird schnell erkannt. Einer kurzen und semi erfolgreichen Amateurkarriere folgt das Profidebüt des 2,06m Riesen im Dezember 2008. Als Preisboxer räumt Fury einen Gegner nach dem anderen aus dem Weg, unter anderem zweimal Dereck Chisora und den ehemaligen Cruisergewichtskönig Steve Cunningham. Sein Ringresüme wäre vermutlich noch eindrucksvoller, wenn die geplanten Duelle mit dem damals sehr stark eingeschätzten David Haye nicht geplatzt wären. Im November 2015 stellt Fury dann schließlich den unumstrittenen Schwergewichts-König Wladimir Klitschko und demontiert ihn vor eigenem Publikum in Düsseldorf. Trotz seines großen Sieges fällt der Gypsy King danach in eine tiefe Depression und verliert alle seine WM-Gürtel. Wie Phoenix aus der Asche steigt er 2018 wieder auf und fordert nach zwei Aufbaukämpfen den amtierenden WBC-Champion Deontay Wilder heraus. Der Kampf in Los Angeles endet mit einem knappen Unentschieden. Im Februar 2020 kommt es zum Rematch und Fury dominiert den Amerikaner nach Belieben. Der lineare Weltmeister ist nun auch Träger des WBC und Ring Magazine Gürtels. Von den meisten Experten wird er zurzeit als die klare Nummer Eins der Schwergewichtsszene angesehen. Er ist ein absoluter Ausnahmeboxer mit überragendem Jab und exzellentem Timing. Er bewegt sich im Ring so geschmeidig wie nahezu kein Schwergewicht vor ihm. Fury würde, Stand heute, bei allen Buchmachern als Favorit in das Duell gegen Joshua gehen.
DER GYPSY KING WIE ER LEIBT UND LEBT
STRAHLEMANN
Vom Nacken aufwärts ist der Ort wo Du einen Kampf gewinnst oder verlierst. Es ist die Kunst des Krieges. Überleg Dir eine Strategie und dann folge ihr. – Anthony Joshua.
Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua wird am 15. Oktober 1989 in Watford geboren. Trotz guter Kindheit ist der junge Mann in einige kriminelle Delikte verwickelt, Boxen hilft ihm diese vergessen zu machen. Im Alter von 18 Jahren beginnt der talentierte Brite mit dem Faustkampf und macht sich schnell einen Namen in der Amateurszene. 2011 gewinnt er bei der Weltmeisterschaft in Baku die Silbermedaille, nur um 2012 noch einen drauf zu setzen. Joshua gewinnt Gold bei den Olympischen Spielen im Superschwergewicht in seiner Heimatstadt London, der größtmögliche Triumph in der Karriere eines Amateurboxers. Von da an ist er ein Star in seinem Heimatland und wird Profi.
Und auch hier räumt der 1,98 Meter große Hüne auf. In seinem fünfzehnten Profikampf revanchiert er sich für eine seiner wenigen Niederlagen als Amateur beim heutigen Top-Schwergewicht Dillian Whyte. Er schickt den ehemaligen Kickboxer in Runde sieben auf die Bretter. Bereits in seinem 16ten Profikampf erobert Joshua den Weltmeistergürtel der IBF vom damals ungeschlagenen Amerikaner Charles Martin. Nur zum Vergleich: Muhammad Ali brauchte 20 Kämpfe bis zu seinen ersten WM-Ehren, Mike Tyson gar 28 Gefechte. Joshua kämpft auf der Überholspur. Sein Sieg im Vereinigungskampf gegen Joseph Parker 2018 bricht in England alle Pay-per-View Rekorde, bei seinem Triumph gegen die Legende Wladimir Klitschko knapp ein Jahr zuvor zeigt er starke Nehmerqualitäten. Als er dann auch noch dem Russen Alexander Povetkin die erste K.O Niederlage in dessen Karriere zufügt, scheint der Brite durch nichts und niemanden mehr zu stoppen zu sein. Einziger Kritikpunkt scheint ein einfach nicht zustande kommender Fight mit dem damaligen WBC-Champion Deontay Wilder. Joshua gibt sein USA-Debüt stattdessen gegen Andy Ruiz jr, der ihn extrem überraschend und auf spektakuläre Weise ausgeknockt. Ruiz ist kurzfristig für den Kampf eingesprungen und stellt den Modellathleten aus England vor große Probleme, viele Experten setzen auch im Rückkampf 2019 auf einen Sieg des Mexikaners.
Doch Joshua weist seinen Gegner und alle Kritiker in die Schranken. Im sofortigen Rematch dominiert er den Mexikaner, und holt sich seine Gürtel zurück. Diese Leistung ist aus vielen Gründen nicht hoch genug einschätzen. Zum einen hat Joshua seinen Boxstil komplett umgestellt und boxt gegen den Mexikaner viel im Rückwärtsgang. Das führt dazu, dass der Mann aus Watford nahezu alle Runden bei den Kampfrichtern gewinnt. Eine Fähigkeit, die ihm kaum jemand im Boxzirkus zugetraut hätte. Zum anderen schlägt Joshua den Mann, der ihm seine erste Niederlage als Profi zugefügt hat im direkten Rematch. Eine Leistung, die in den letzten 50 Jahren kein Schwergewichtsweltmeister vollbracht hat. Joshua hat all seine Zweifler Lügen gestraft, hat den schwerst möglichen psychologischen Druck im Profisport ausgehalten und sich eindrucksvoll zurückgemeldet. Selbst Schwarzenegger wäre stolz auf so eine Rückkehr. Aber ist der Mann mit den nigerianischen Wurzeln auch gut genug für Tyson Fury?
AJ DEKLASSIERT RUIZ IM CLASH OF THE DUNES
DER VERGLEICH
Joshua ist zu 100% nicht gefährlich, er ist ein Kuschelbaby. Wie soll ich an ihn glauben wenn er schon von Andy Ruiz Jr. ausgeknockt wurde? – Tyson Fury
Die beiden Schwergewichts-Kings sind beide vertraglich noch an andere Gegner gebunden. Joshua muss als nächstes gegen den IBF-Mandatory Kubrat Pulew ran, Tyson Fury steht die dritte Auflage mit seinem Tanzpartner Deontay Wilder bevor. Doch hinter den Kulissen wird bereits über einen Mega-Fight der beiden verhandelt. Wir vergleichen die beiden Kolosse in allen boxerisch relevanten Kategorien um herauszufinden, wer als Favorit in den Traumkampf gehen würde.
TRAINER
Die bedeutendsten Männer und Frauen sind diejenigen, die sich selbst vergessen, wenn sie an andere denken und ihnen dienen. – Robert McCracken
Vor seinem letzten Kampf gegen Deontay Wilder trennte sich Fury von seinem Trainer Ben Davison, der ihn von seinem Comeback im Sommer 2018 bis hin zu Beinahe-Titelehren geführt hatte. Im letzten Wilder Gefecht stand dann Javan “Sugar” Hill in seiner Ecke, der Neffe des vielleicht größten Boxtrainers der letzten 30 Jahre Emmanuel Steward. Ein Wechsel, der sich absolut ausgezahlt hat. Fury war gegen Wilder in überragender Form und überzeugte mit neuem aggressivem Boxstil. Der Trainer aus dem Kronk Gym in Detroit ist sofort zum Gypsy King durchgedrungen. Der Brite hat den Stil des Kronk Gym verinnerlicht und scheint in der Verfassung seines Lebens zu sein.
Anthony Joshua hat sich in seiner Karriere noch nie Gedanken über seine körperliche Form machen müssen, der Mann aus Watford würde auch als Bodybuilder durchgehen. Er wird seit seinem Profidebüt von Robert McCracken trainiert, der auch schon Carl Froch zum Weltklassemann geformt hat. Der Brite stand auch schon bei Joshuas Olympiasieg in dessen Ecke, ist langjähriger Wegbegleiter des Spätstarters. Trotz der heftigen Niederlage gegen Ruiz hielt Joshua an McCracken fest, was sich ausgezahlt hat. Joshua hat mit seiner Hilfe einen für ihn völlig neuen Box-Stil in verdammt kurzer Zeit exzellent adaptiert. Außerdem ist der erfahrene Trainer mit der Hauptgrund warum es im englischen Boxen gerade so gut läuft, er betreut seit zehn Jahren das britische Olympia-Team.
Beide Boxer haben exzellente Trainer in ihren Ecken. Mit der hohen Qualität und der Mentalität von Javan Hill kann Robert McCracken locker mithalten. Daher gibt’s in der Kategorie Trainer ein Unentschieden.
Fazit: Remis
ROBERT MCCRACKEN HAT NUR EINEN GEDANKEN ZU AJ VERSUS FURY
ERFAHRUNG
Es ist mir egal wie viel Geld ich verdiene, es geht um die Liebe zum Duell Mann gegen Mann. Im Ring fühle ich mich zu Hause, ich liebe den Einlauf und den Trash Talk. Hier bin ich der König. – Tyson Fury
Tyson Fury boxt seitdem er 14 Jahre alt ist, dazu ist er in einer Umgebung des Kämpfens groß geworden. Schon vor seinem ersten Training in einem Boxclub ist er Raufereien gewohnt. Sein Profidebüt gibt er bereits 2008, und hat heute bereits 31 Kämpfe auf dem Buckel. Von den Zahlen her, ist der Gypsy King seinem nigerianisch stämmigen Kontrahenten eindeutig überlegen. Joshua beginnt erst mit 18 mit dem Faustkampf, gibt sein Profidebüt gar erst 2013. Doch wie wir wissen ist Erfahrung peripher.
Zum Einen hat stand Joshua während seiner Amateurkarriere in bedeutenderen Gefechten als der Gypsy King und hat sich dort bewährt. Er hat dort den größtmöglichen Titel gewonnen. Zum Anderen kann er die Erfahrung aufweisen von einer, vor allem psychologisch, heftigen Niederlage im Boxring zurückzukehren und zu triumphieren. Auch wenn man den Umstand, dass Fury als Profi noch ungeschlagen ist, ihm nicht zum Nachteil machen kann, hat Joshua hier trotzdem wertvolle Erfahrungen gemacht und ist als Boxer gewachsen. Das Ringresüme der beiden schenkt sich ebenfalls nahezu nichts, sodass wir auch in dieser Kategorie auf ein Unentschieden kommen.
Fazit: Remis
PSYCHE
Mach Dir keine Gedanken über Erfolg. Mach Dir Gedanken was Du heute und morgen tust. Der Erfolg wartet auf Dich. – Anthony Joshua
Joshua verfügt über eine unglaubliche mentale Stärke. Von einer Niederlage, wie der gegen Ruiz, in so beeindruckender Manier zurückzukehren zeigt aus welchem Holz der Mann aus Watford geschnitzt ist. Dazu hat er sich von nichts und niemandem während seiner Karriere einschüchtern lassen und sowohl gegen harte Trash Talker wie Dillian Whyte, als auch gegen den König der Psychospielchen Wladimir Klitschko, im Ring bestanden. Doch trotz dieser eindrucksvollen Stärke zieht er gegen Tyson Fury in diesem Punkt den Kürzeren.
Fury lässt sich nicht nur von nichts und niemandem beeindrucken, er dringt auch in die Köpfe seiner Gegner ein. Knallharte Typen wie Wladimir Klitschko und Deontay Wilder liessen sich vom Briten beeinflussen und verloren zumindest teilweise ihren Fokus. Trotz seiner teilweise manischen Anfälle, war Fury in jedem seiner großen Kämpfe komplett mental da und präsent. Seit seinem Comeback in 2018 gibt es keinerlei Anzeichen für Rückfälle beim Gypsy King. Die Art und Weise wie sich Fury,der nach Iron Mike Tyson benannt wurde, im Ring und auch außerhalb gibt ist bemerkenswert und zeugt von hoher Selbstsicherheit. Dazu kommt sein unglaublich tiefer Glaube in Gott, der ihm noch mehr Stärke verleiht. Er ist in dieser Kategorie einfach das Maß aller Dinge in der Königsklasse. Der Punkt geht an den Mann aus Manchester.
Fazit: Vorteil Gypsy King
FURYS LEGENDÄRER TRASH TALK BRINGT AUCH DICH ZUM LACHEN
RINGINTELLIGENZ
Besorgt ihm einen Boxpass, Schwergewichtler bewegen sich nicht so. – Steve Egan, Erster Coach von Tyson Fury nach dessen erstem Sparring.
Tyson Furys Ring-IQ und boxerische Intelligenz sucht auf dieser Welt ihresgleichen. Der Hüne ist für seine Größe nicht nur extrem beweglich auf den Füßen, auch sein Oberkörper scheint teilweise aus Gummi zu sein. Ein unglaubliches Gefühl für Distanz, jederzeit die Möglichkeit die Auslage zu wechseln und das enorm gute Einsetzen seiner 2,16 Meter Reichweite sind ebenfalls Argumente die für den Mann aus Manchester sprechen. Selbst mit seinem schwereren Kampfgewicht in seinem letzten Kampf gegen Deontay Wilder, hat seine Beweglichkeit gefühlt keinen Deut abgenommen. Er war bisher ausnahmslos jedem Gegner, dem er im Ring gegenüberstand, boxerisch überlegen.
Anthony Joshua ist ebenfalls ein intelligenter Boxer, der weiß wann er das Tempo erhöhen muss und wann er sich eher zurückhält. Als Olympiasieger ist er hervorragend ausgebildet und wäre sicherlich einer der technisch besten Boxer, der jemals mit Fury den Ring teilt. Nichtsdestotrotz ist der Gypsy King in dieser Kategorie erneut Gold Standard. Es gibt nicht wenige Leute, die Fury in Sachen Ringintelligenz in einer All Time Liste unter die Top Drei Schwergewichte setzen würden. In der aktuellen Creme de la Creme der Königsklasse, kann ihm sowieso niemand das Wasser reichen. Deshalb ist diese Runde eine klare Sache für den Mann aus Manchester.
Fazit: Vorteil Gypsy King
DIE BESTE DEFENSIVE ALLER ZEITEN?
STAMINA UND KINN
Er kann überhaupt nichts, er könnte dem Gypsy King nicht einmal eine Kerze halten. Es gibt hier nur ein Schwergewicht und nur einen unbesiegten Weltmeister. Sie sind alle auf dem Weg gestürzt, der ungeschlagene Mann hat sie alle erledigt. Ich bin der Einzige! Ich, der Gypsy King – unschlagbar, uneinnehmbar, unzerbrechlicher Champion! – Tyson Fury
Anthony Joshuas Kinn wurde nach seiner Niederlage gegen Ruiz im Madison Square Garden heftig kritisiert. Mehrmals fand sich der schlagstarke Engländer am Ringboden wieder. Auch davor in seiner Karriere war er schon mehrmals “in trouble”. Gegen Dillian Whyte schien er zu wanken, gegen Klitschko war er tatsächlich am Boden. Gegen den Ukrainer kämpfte sich AJ zwar zurück, was aber auch mit Klitschkos nachlassender Kondition zu tun hatte. Dazu kommen immer wieder Kritiker, die Joshua vorwerfen seine vielen Muskeln schwächen ihn in Sachen Ausdauer. Punkte hat er vor allem dadurch gesammelt, dass er mit Ausnahme seiner einzigen Niederlage, alle kritischen Situationen im Ring eindrucksvoll überstanden hat. Im Vergleich zu Fury musste er aber insgesamt deutlich häufiger Schwächephasen im Ring überstehen.
Der harte Trash Talker aus Manchester schmeckte bisher dreimal in seiner Profikarriere den Ringstaub. Zweimal gegen den wohl stärksten One-Punch Knockouter der letzten 20 Jahre Deontay Wilder und einmal gegen den ehemaligen Cruisergewichts-Champ Steve Cunningham. Jedesmal stand der Gypsy King wieder auf und kam deutlich stärker zurück in den Kampf. Besonders beeindruckend seine Wiederauferstehung im ersten Gefecht gegen den Bronze Bomber Deontay Wilder 2018. Erinnerungen an den Undertaker wurden wach, als er sich vom Ringboden erhob die finale zwölfte Runde quasi für sich entschied. Noch nie in seiner Karriere waren bei Fury Schwächen in der Ausdauer zu erkennen.
Da er noch nie einen Kampf verloren hat oder wirklich länger angeklingelt wirkte, geht auch dieser Punkt an den ebenfalls musikalisch talentierten amtierenden WBC-Champ.
Fazit: Vorteil Gypsy King
DIE AUFERSTEHUNG
SCHLAGKRAFT
Wenn Du die Nummer Eins sein willst, dann komm und kämpfe gegen mich! – Anthony Joshua
Fury hat diesen Februar Deontay Wilder das erste Mal in dessen Profikarriere zu Boden geschickt und das mit Nachdruck. Von seinen 31 Gefechten hat der Mann mit den irischstämmigen Wurzeln 21 per K.O für sich entschieden. Fury verfügt über eine enorme Schlagkraft. Solche schlag starken Kombinationen zum Körper kombiniert mit der eigenen Körpergröße hat man zuletzt in den Neunzigern bei Riddick Bowe gesehen. Außerdem trainiert er seit Kurzem im Kronk Gym, was für seine schlagstarken Boxathleten bekannt ist.
Ihm gegenüber steht mit Anthony Joshua allerdings ein wahrer Knockoutartist. Von 24 Duellen hat der Brite 21 per Knockout gewonnen. Die einzigen beiden Punktsiege stammen aus seinen beiden immens wichtigen Fights gegen Ruiz jr. und Joseph Parker. Hier war AJ nachvollziehbar etwas zurückhaltender. Ruiz hatte er bei seiner einzigen Niederlage als Profi ebenfalls am Boden. Der Modellathlet bezeichnet sich selbst als Sniper, der seine Gegner mit der Zeit mürbe macht um sie dann auszuschalten. Sein austrainierter Körper kombiniert mit starker Technik helfen ihm eine enorme Schlagkraft zu entwickeln, die wahrscheinlich sogar noch härter werden kann.
Der Mann aus Watford verfügt über einen extrem harten Punch und entscheidet diese Kategorie, wenn auch hauchdünn, für sich.
Fazit: Vorteil AJ
AJs WUCHTIGER PUNCH
PROGNOSE
There is only ONE Tyson Fury! – Britischer Boxfan
Auch wenn das Schwergewicht gerade boomt und sich noch viele andere starke Kämpfer wie Usyk, Whyte und Wilder an der Spitze tummeln wollen die Boxfans nur einen Kampf sehen: AJ versus Fury!
In unserem Vergleich hat der humorvolle Mann aus Manchester relativ deutlich die Nase vorne. Der Trash Talk König wird mit seinem Box-Stil das Seilgeviert zu einem wahren Alptraum für Anthony Joshua machen. Seine Größenvorteile mit berücksichtigt gibt es kaum ein Szenario, in dem AJ wirklich Vorteile entwickeln kann. Sollte sich der 30 Jährige entscheiden nach vorne zu gehen, wird Fury ihn vermutlich ausboxen. Sollte hingegen der Gypsy King ähnlich wie zuletzt gegen Wilder die Attacke suchen, wird es Joshua kaum gelingen ihn sich vom Leib zu halten. Dazu kommt die extrem starke Physis des 2,06m großen Fury. Wenn Joshua überhaupt eine Chance haben will, wird er sein Heil in der ersten Hälfte des Kampfes suchen müssen. So oder so lautet das Fazit: Sieg Gypsy King.
Prognose Roman: Sieg Fury durch Knockout.
Prognose Tim: Sieg Fury nach Punkten.
EINE GANZE FOLGE TOE TO TOE NUR ZU AJ VERSUS FURY
Sehr empfehlenswertes Buch zu Tyson Fury: Ich hinter der Maske
Joshuas bisherige Karriere in Bildern: Anthony Joshua
Quelle Titelbild: presscenter.premierboxingchampions.com | wikimedia – Jumeirah
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
Reinhören und gleich anfragen:
TOE TO TOE RUNDE VIER
Der schon jetzt legendäre Box-Talk aus dem Mariposa Boxing Club in München Sendling geht in die nächste Runde. Thema diesmal: AJ gegen den Gypsy King!
Wer würde das Mega-Duell der beiden Schwergewichtskönige für sich entscheiden?
Tim Yilmaz und ich diskutieren fröhlich alle möglichen Szenarien aus, zu sehen einzig und allein auf dem Kampfsportsender Eures Vertrauens fight24.tv.
Außerdem verlosen wir den Gewinner unserer aktuellen Umfrage.
Warnung: Du könntest viel über Boxen lernen und gut unterhalten werden!
PS: Zu allen TOE TO TOE Folgen geht es HIER.
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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HIMMEL UND HÖLLE
Mit freundlicher Unterstützung von Tim Yilmaz und dem Mariposa Boxing Club
Einer meiner Freunde sah mal das Strafregister eines Typen und sagte: “Guck mal der Typ ist ein Verrückter, ein geborener Looser.” Ich sagte ihm: “Nein, das ist mein Strafregister und es ist ohne Jugendstraftaten.”*
Manchmal werden schlechte Witze über das Viertel Brownsville in Brooklyn gemacht. Man sagt, wenn man irgendwo im Ghetto wohnt und keinen Job hat ist das ein Scheißleben. Aber immernoch besser als ein Leben ins Brownsville. Anfang der Siebziger Jahre wächst in dem Problemviertel ein Ghettokind wie jedes andere auf. Kriminalität, Diebstähle und Überfälle stehen an der Tagesordnung. Der Junge ist zu Beginn verängstigt und wird des öfteren drangsaliert und schikaniert, er versteckt sich so oft er nur kann. Von seiner Mutter wird er des öfteren verprügelt, sein Vater hat ihn früh verlassen. Beruflich sind beide im horizontalen Gewerbe unterwegs, seine Mutter ist Prostituierte, sein Vater ist Zuhälter.
Doch irgendwann kommt der Punkt an dem der Junge beginnt sich zu wehren. Er schlägt andere teilweise größere Jungs in Schlägereien K.O und macht sich einen Namen auf der Straße. Anstatt schikaniert zu werden, ist er nun am Drücker. Der junge Jugendliche begeht immer mehr Diebstähle und hat schnell seinen Ruf weg. Doch schon mit zwölf Jahren erlebt die kriminelle Karriere des Straßenjungen einen erheblichen Knick. Nach 38 Festnahmen durch die Polizei landet der Zwölfjährige in einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Dort gibt es einen ehemaligen Boxer, der sich der jungen Männer annimmt. Nach anfänglichen Widerständen boxt Mister Stewart schließlich auch mit dem Straßenjungen aus Brownsville. Er ist von dessen Fähigkeiten so beeindruckt, dass er ihn umgehend einem seiner Bekannten aus der Boxszene vorstellt. Der Bekannte ist die Trainerlegende Cus D’Amato, der Junge ist Mike Tyson und das Ganze ist der Beginn einer der verrücktesten Geschichten, die das Schwergewichtsboxen und auch das Leben jemals gesehen haben.
* Alle Zitate zu Beginn eines jeden Abschnitts sind von Iron Mike Tyson
VATERFIGUR
Jeder sagt er wäre gerne ich, diese ganzen Leute wissen einen Scheiss. Wenn Sie ich wären, würden sie weinen wie kleine Babys.
D’Amato ist von Tyson begeistert und nimmt den mittlerweile dreizehnjährigen jungen Mann unter seine Fittiche. Er will aus Tyson den nächsten Weltmeister im Schwergewicht machen und verkündet es auch jedem der es hören will. Cus D’Amatos boxerisches Wissen und seine Fähigkeiten sind unbestritten. Bisher hat er mit Floyd Patterson und Jose Torres zwei Weltmeister geformt, doch die fehlende Anerkennung und endlose Konflikte innerhalb der Boxszene nagen an dem Mann aus New York City. Er wird längst nicht mehr von jedem als großer Trainer gesehen und will es unbedingt noch einmal allen beweisen. Tyson steht für seine Hoffnung auf Rache an der Boxszene. Er will den jungen Boxer in seinem einzigartigen Peekaboo Stil unterrichten und lässt den Jungen mit der kriminellen Vergangenheit bei sich zu Hause in Catskill einziehen. Für Tyson gibt es, von seinen vereinzelten Fluchten zurück in die Heimat mal abgesehen, von diesem Tag an nichts anderes als hartes Boxtraining in D’Amatos Boxschule über einer Polizeiwache. Das Haus in Catskill, in dem der Italiener mit seiner Lebensgefährtin wohnt, liegt in einer ländlichen Gegend. Der heißspornige Tyson wird quasi zu einem Mönchsleben gezwungen.
D’Amato triezt den Jungen, bringt ihn zu weinen und lässt ihn permanent durch die Hölle gehen. Er baut ihn auf und vermittelt ihm einen gottähnlichen Status, nur um ihn im nächsten Moment wieder mental vollkommen zu brechen. Charakter, Disziplin und Furchtlosigkeit sind nur einige Dogmen die sich D’Amato auf die Fahnen geschrieben hat. Er unterzieht ihn einem kompletten Persönlichkeitstraining, schickt ihn sogar zur Hypnose beim legendären John Halpin. Dazu kommt Tysons riesengroßes Interesse am Boxsport, er verschlingt die Bücher in Cus Bibliothek reihenweise und zieht sich noch bis spät in die Nacht alte Boxkämpfe rein. Kombiniert mit D’Amatos hartem und zielgerichteten Boxtraining und seinem Einfluss auf die Psyche des Jungen ist das eine unschlagbare Kombination. Aus D’Amatos Sicht soll Tyson der brutalste Mensch auf diesem Planeten werden. Der alte Boxtrainer glaubt so sehr an den Jungen, dass er in einem Interview sagt: Wenn Mike nicht hier wäre, wäre ich wahrscheinlich längst nicht mehr am Leben. Als Tysons Mutter stirbt, adoptiert der Boxtrainer den Jungen und ist mehr denn je seine größte Stütze im Leben.
JUNGER TYSON MIT CUS D’AMATO
RAKETENSTART
Disziplin: Das zu tun was Du hasst, aber es so zu tun als würdest Du es lieben.
Und Tyson legt los wie die Feuerwehr. Für ihn ist D’Amato eine Vaterfigur geworden, die er unbedingt zufrieden stellen will. Der Junge aus Brooklyn ist wie ein Soldat, der für seinen Feldherrn durch die Hölle geht. Tyson beginnt auf sogenannten Smokern in der Region zu boxen. Verrauchte Zelte auf denen sich dunkle Gestalten aus dem Milieu rumtreiben. Und der junge Amerikaner schickt seine Gegner reihenweise in den Ringstaub, obwohl die meisten von ihnen deutlich älter sind als er. Die Angst ist wie Feuer, lautet ein weiteres von D’Amatos Dogmen. Wenn Du lernst sie zu kontrollieren dann arbeitet sie für Dich. Wenn Du Dich aber von ihr kontrollieren lässt, kann sie alles zerstören. Mit jedem Kampf wird der junge Tyson mehr und mehr zu Attraktion.
Seine erste Niederlage seiner Amateurkarriere erleidet er gegen den elf Jahre älteren erfahrenen Haudegen Ernie Benett, doch sie kann ihn nicht aufhalten. Tyson ist nicht zu stoppen und gewinnt 1981 und 1982 die Nationale Junior Olympiade. Bei dem Juniorenturnier melden viele Trainer ihre Kämpfer ab, als sie sehen das Tyson antritt. Zu diesem Zeitpunkt wird der aufstrebende Boxer vom heute berühmten Boxcoach Teddy Atlas trainiert. Nach einem folgenreichen Konflikt und der Trennung von Atlas übernimmt der Cus D’Amato Schüler und ehemalige Boxer Kevin Rooney das Ruder. Rooney boxt sogar auf einigen Turnier auf denen Tyson antritt selber mit, er ist ein Mann zu dem der Junge aufschaut. Im Alter von 18 Jahren gewinnt Tyson dann die prestigeträchtigen Golden Gloves bei den Erwachsenen. Es scheint keine Grenzen für den aufstrebenden Schüler D’Amatos zu geben. Er hat alles was der alte Italiener ihm beigebracht hat komplett verinnerlicht.
Bei der darauffolgenden Qualifikation für die olympischen Sommerspiele in Los Angeles 1984 muss sich Tyson, dessen Spitzname in jungen Jahren Kid Dynamite ist, nur zweimal höchst umstritten dem bärenstarken Amateurboxer Henry Tillman geschlagen geben. Tillmann gewinnt in der Folge Gold in Los Angeles im Schwergewicht. Er ist ein Ausnahmeathlet und hoch talentierter Boxer. Tyson hat also im Alter von 18 Jahren knapp gegen den deutlich erfahrenen späteren Olympiasieger verloren, für viele Boxexperten hat er ihn ihrem zweiten Fight sogar geschlagen. Kurz entscheidet sich das boxerische Jahrhunderttalent Profiboxer zu werden.
TYSON GEGEN TILLMAN
TYSON BEI DER JUNIOR OLYMPIADE
JUNG BRUTAL UND AUF DER JAGD
Ich könnte mit dem Boxen aufhören und könnte alles tun. Ich wäre überall genauso erfolgreich wie im Boxen.
Am 6. März 1985 gibt Michael Gerard Tyson sein Profidebüt in New York und bezwingt Hector Mercedes in der ersten Runde durch Knockout. In seinem ersten Jahr als Profi boxt Tyson insgesamt 15 Mal, verglichen mit der heutigen Zeit unwahrscheinlich viele Gefechte. Immer in seiner Ecke Kevin Rooney, der es schafft zu Tyson durchzudringen und außerhalb des Ringes ein Publikum, dass Tyson wegen seiner Brutalität im Ring anhimmelt. Und der junge Mann aus Brooklyn hat Druck. Sein Mentor und Trainer Cus D’Amato hat eine schwere Lungenkrankheit und dadurch nicht mehr wirklich lange zu leben. Tyson will den Weltmeistergürtel für ihn holen, und er scheint nicht zu stoppen.
Doch den aufstrebenden Star trifft Ende des Jahres ein Rückschlag, der härter ist als alles was er bisher im Boxring erlebt hat. Cus D’Amato stirbt im Alter von 77 Jahren tatsächlich an seiner Lungenkrankheit. Der Mann, der Tyson einmal als seine Rache an der Boxwelt bezeichnet hat, hinterlässt im Leben des jungen Boxers eine extrem große Leere. Einer seiner letzten Sätze zu Tyson ist: “Die Welt muss dich sehen, Mike. Du wirst Weltmeister, der Größte.” Tyson selbst sagt: “Nach seinem Tod war mir alles egal. Ich boxte nur noch wegen des Geldes.” Obwohl er diesen Satz eventuell auch von seinem großen Idol Jack Dempsey geklaut hat, ist Tyson danach nie mehr ganz derselbe. D’Amato, der auch aus schwierigen Verhältnissen stammt, ist für Tyson eine unersetzliche Vaterfigur gewesen. Kid Dynamite nimmt zu seinen nächsten Kämpfen ein Bild D’Amatos mit, mit dem er vor den Kämpfen seine Taktik bespricht. Der junge Mann leidet für Wochen seelische Höllenqualen. Und tatsächlich wird Mike Tyson bereits im Alter von 19 Jahren seinen Zenit in Sachen Disziplin und boxerische Weiterentwicklung nahezu erreicht haben. D’Amatos Tod ist das erste in einer Kette von vielen Ereignissen, die den jungen Amerikaner völlig aus der Bahn werfen. Doch zuerst setzt er seinen Weg in den Boxolymp unbeirrt fort. Er ist so gut und von Talent gesegnet, dass er im Ring nahezu alles ausblenden kann.
Tyson zerstört bis September 1986 zwölf weitere Gegner und steht bei einem Kampfrekord von 27-0. Einzig Mitch Green und James Tillis überstehen das Gefecht mit dem Mann aus Brooklyn bis zum letzten Gong, verlieren dann aber nach Punkten. Es wird gemunkelt, dass Tyson sie nur nicht ausgeknockt hat, weil er mal über die volle Rundendistanz boxen sollte. Nach einem Kampf gibt er zu Protokoll, er möchte seinem Gegner das Nasenbein ins Hirn zurück prügeln. Es sind D’Amatos Suggestionen die aus ihm sprechen. Der Mann aus Brooklyn hat im Ring die brutalste Ausstrahlung, die es seit langem im Schwergewicht gegeben hat. Einschüchterung ist das Mittel überhaupt, was ihm in seiner Karriere einige Siege einbringen wird. Tyson bringt den Glanz alter Tage zurück, nachdem sich das Publikum so sehnt. Nichtsdestotrotz wirkt er außerhalb des Rings immer noch oft wie ein schüchterner Junge, der oft nicht weiß was er sagen soll. Er muss extrem schnell erwachsen werden. Schon Ende des Jahres ist er kurz davor seinen Jugendtraum wahr zu machen: Er boxt gegen Trevor Berbick um die WBC-Weltmeisterschaft.
TYSON GEGEN TILLIS HIGHLIGHTS
REKORD FÜR DIE EWIGKEIT
Jeder hat einen Plan, bis er eins in die Fresse kriegt.
Im Hilton Hotel in Las Vegas schreibt der 20 Jahre alte Mike Tyson 1986 tatsächlich Boxgeschichte. Er löst den anderen großen D’Amato Schüler Floyd Patterson durch einen Sieg gegen Trevor Berbick als jüngster Boxweltmeister der Geschichte ab. Trotz Tripper und einen mit Antiobitoka vollgepumpten Körper knockt er den Jamaikaner in der zweiten Runde brutal aus. HBO Ansager Barry Watkins verkündet umgehend eine neue Ära im Boxsport, die Arena bebt. Einen wie Tyson hat selbst das verwöhnte Boxpublikum in Amerika noch nie gesehen. Ihn umgibt eine unglaubliche Aura von Brutalität und Kompromisslosigkeit. Er wirkt eher wie ein Bodybuilder, sein Halsumfang beträgt 48 Zentimeter, mehr als bei fast allen anderen Champions im Schwergewicht zuvor. Nur Primo Carnera, der im Zirkus auch als Kraftmensch auftrat, kommt auf denselben Wert. Sein erfahrener Gegner, der immerhin den Kampf sucht, hat zu keinem Zeitpunkt eine Chance. Tyson widmet den Sieg umgehend seinem Adoptivvater Cus D’Amato, er ist am Zenit angekommen und wird als Schwergewichtsweltmeister von unglaublich vielen Menschen vergöttert. Um seinen Triumph noch einmal hervorzuheben: Tysons Kampf gegen Berbick ist sein erster Kampf überhaupt, der auf zwölf Runden angesetzt ist. Er hat es wirklich allen gezeigt und das in Rekordzeit.
Doch schon zu diesem Zeitpunkt wird die fehlende Führung in Tysons Leben sichtbar. Mit 20 Jahren ist er immer noch ein Junge und treibt sich wieder häufiger in seiner Heimat Brownsville rum. Von seinen Managern Steve Lott und Jimmy Cayton fühlt er sich immer mehr eingeengt. Das positive Image, dass er nach Außen ausstrahlen soll ekelt ihn in Wirklichkeit an. Tyson trainiert zwar weiter hart im Boxstudio in Catskill, aber er lässt es ebenso hart krachen. Seine ambivalenter Lebensstil wird an einer Anti-Drogen Kampagne deutlich, deren Gesicht Tyson sein soll. Während er fröhlich “Sagt Nein zu Drogen” in die Kamera spricht, ist er selber noch high.
Doch noch machen sich der Lebenswandel und die fehlende Disziplin im Ring nur wenig bemerkbar. In seinem nächsten Kampf sichert sich Tyson gegen James Smith den WBA-Gürtel. Tyson betritt wie immer ohne Socken und in schwarzen Shorts den Boxring und lässt seinem Gegner, der den Spitznamen Knochenbrecher trägt, nicht den Hauch einer Chance. Tatsächlich klammert Smith den größten Teil des Kampfes und will sich Tyson in keinem wirklichen Gefecht stellen. Die Angst vor der Kraft des jungen Weltmeisters ist selbst bei einem erfahrenen und starken Boxer wie Smith zu groß. in seiner zweiten Titelverteidigung bezwingt er Ex-Weltmeister Pinklon Thomas durch TKO in Runde sechs. Im nächsten Duell wartet der von Emanuel Steward betreute und in 34 Gefechten unbesiegte IBF-Weltmeister Tony Tucker auf Tyson. Doch auch er ist in einem Duell über zwölf Runden nahezu chancenlos. Tyson hat alle großen Schwergewichtsgürtel vereinigt: WBC, WBA und IBF. Er ist der erste Boxer in der Geschichte des Schwergewichts, der dies jemals schafft. Doch eine Sache fehlt noch in Tysons illustrer Sammlung: Die lineare Weltmeisterschaft, deren Linie sich bis zum ersten Weltmeister John L. Sullivan zurückverfolgen lässt.
TYSON WIRD JÜNGSTER WELTMEISTER
TYSON VEREINIGT ALLE DREI GÜRTEL
HIMMEL UND HÖLLE
Ich war immer eine Bestie, ein dressierter Gorilla, ein armer Säufer, ein arroganter Psychopath, der jüngste Schwergewichts-Weltmeister und ein Arschloch. Ich hätte den Titel am 11. Februar 1990 in Tokio nicht an Buster Douglas verloren, wenn ich damals nicht mein gewohntes, spezielles Aerobics praktiziert hätte: Alle Zimmermädchen des Hotels zu vögeln. Ich hätte die Frauen lieber wegschicken sollen. So möchte nicht in Erinnerung bleiben.
Nach seinem Sieg gegen Larry Holmes ist Michael Spinks, und nicht Tyson, der lineare Weltmeister im Schwergewicht. Nachdem Tyson seine drei Gürtel noch drei weitere Male, unter anderem eben gegen den legendären und gealterten Larry Holmes, verteidigt hat kommt es am 27. Juni 1988 zum Showdown zwischen den beiden anerkannten Champions. Spinks hat eine illustre Karriere im Halbschwergewicht vorzuweisen und hat Holmes, allerdings auch nach seiner Prime, zweimal in einem Gefecht über 15 Runden besiegt. Er ist zudem ehemaliger Olympiasieger und scheint der letzte relevante Gegner für Iron Mike Tyson zu sein. Der Mann aus St. Louis verdient 13 Millionen mit dem auf gehypten Duell der beiden Champions. Doch er ist der Herausforderung keine Sekunde gewachsen. Laut Insiderkreisen sollen ihm sogar im Warteraum die Tränen gekommen sein, weil er um sein Leben gefürchtet hat. Selbst so ein gestandener Boxer wie Spinks, hat eine enorme Angst vor Mike Tyson der immer noch in seinen frühen Zwanzigern ist. Tyson betritt den Ring mit einem Trauermarsch und knockt Spinks in der ersten Runde auf brutale Weise aus. Der junge Mann aus Brooklyn ist somit endgültig an der absoluten Spitze angekommen. Er ist der dominierende Mann der Boxszene und hat das abgehalfterte Schwergewicht im absoluten Alleingang wiederbelebt. Durch Tyson erlebt Boxen einen geradezu unmenschlichen Hype, beispielsweise wird der aktuelle Schwergewichts-Dominator Tyson Fury nach dem Boxer aus Brooklyn benannt. Doch neben dem Boxring ist sein Leben komplett aus den Fugen geraten. Er befindet sich mitten in einem Rechtsstreit mit seiner Noch-Ehefrau Robin Givens, der Einfluss seines Promoters Don King wirkt wie ein langsames Gift, sein Trainer und Vertrauter Kevin Rooney verlässt ihn und der Schwergewichts-King selbst verliert sich immer mehr in den Drogen.
Nach zwei weiteren Titelverteidigungen sitzt Tyson in einem Flieger nach Japan. Er soll seine Titel dort gegen Buster Douglas verteidigen, einen Schwergewichtler der zu dieser Zeit vielleicht gerade so an den Top 10 kratzt. Tyson hat innerlich keine Lust auf den Kampf, er hat das ständige Training und die Disziplin satt. Stattdessen vergnügt sich der Mann aus Brooklyn lieber mit den Zimmermädchen. Als es dann zum Gefecht kommt, wirkt Tyson unkonzentriert und fahrig. Douglas, dessen Mutter kurz vor dem Kampf gestorben ist, ist der stärkere Mann. In der achten Runde scheint Tyson das Duell mit einem heftigen und perfekt getimten Aufwärtshaken doch noch zu drehen und schickt Douglas auf den Ringboden. Doch der Mann aus Columbus steht vor Ablauf der zehn Sekunden wieder auf und knockt den als unbesiegbar geltenden Mike Tyson in der zehnten Runde aus. Der Tokyo Dome hat soeben die größte Überraschung der Boxgeschichte gesehen, vielleicht sogar die größte Überraschung der gesamten neueren Sportgeschichte. Douglas hat den Kampf seines Lebens gekämpft, der 42 zu 1 Underdog ist neuer Undisputed Champion in der Königsklasse. Und Mike Tyson wirkt nicht nur im Ring angezählt.
TYSONS ERSTE PROFINIEDERLAGE
TYSON DEMONTIERT SPINKS
DIE EINSAME KRIEGERSEELE
Ich bin genauso wie Du, auch ich genieße die verbotenen Früchte des Lebens.
Tyson ist mittlerweile mehr außerhalb, denn innerhalb des Rings gefordert. Gerichtsprozesse, Konflikte und eine fehlende Führungsfigur saugen dem immer noch relativ jungen Mann aus Brooklyn Stück für Stück die Lebensenergie ab. Tyson hat den Ruhm tief im Inneren sowieso kaum genossen, jetzt verliert er sich endgültig darin. Er hat einfach keine klare Linie mehr im Leben. Trotzdem boxt er weiter und aufgrund seines unbeschreiblichen Talents und der immer noch wirkenden Schule von Cus D’Amato auch erfolgreich. Zuerst revanchiert er sich mit einem deutlichen Sieg gegen Henry Tillmann für die damalige Nicht-Qualifikation für Olympia, danach bezwingt er in zwei Schlachten den extrem hoch gehandelten Razor Ruddock. Tyson ist noch da und will seine Gürtel zurück, auch wenn ihm Geld mittlerweile wichtiger geworden ist. Der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten vergnügt sich neben dem Ring mit unzähligen Frauen und Drogen. An sich ist es unglaublich, dass er trotzdem im Seilgeviert abliefert und starken Boxern die Grenzen aufzeigt. Und die WM-Chance naht, der Kampf gegen Champion Evander Holyfield ist in trockenen Tüchern. Der ehemalige Cruisergewichtsweltmeister hat Buster Douglas geschlagen und ist die Herausforderung Nummer Eins für Tyson. Doch ein Ausflug nach Indiana wird dem Mann aus Brooklyn, Holyfield und Boxfans auf der ganzen Welt einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen.
Auf einem Event im Land der Indianer lernt Tyson die Schönheitskönigin Desiree Washington kennen. Der immer noch als Nummer Eins im Schwergewicht geltende Tyson ist es gewohnt, dass er jede Frau bekommt die er haben will. So steckt er auf der After-Party sicher einem Dutzend Frauen seine Nummer zu, doch es ist Washington mit der er am Ende auf dem Hotelzimmer landet. Es kommt eins zum anderen und die junge Schauspielerin wird Tyson nach dieser Nacht wegen einer angeblichen Vergewaltigung anklagen. Was wirklich passiert ist werden wir vermutlich niemals erfahren, Fakt ist das Tyson zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt wird. Iron Mike beteuert zwar stets seine Unschuld, doch die Jury bekennt ihn für schuldig. Er selbst sagt später, dass der Knastaufenthalt vielleicht sogar gut für ihn ist. Sein Leben ist zu diesem Zeitpunkt so turbulent, dass er dringend Luft zum Atmen braucht. Ähnlich wie Muhammad Ali wird aber auch Tyson zu einer Pause vom Boxen gezwungen.
WILLKOMMEN ZURÜCK
Ich bin nicht Mutter Theresa, aber ich bin auch nicht Charles Manson.
Am 25. März 1995 wird Mike Tyson wegen guter Führung aus dem Gefängnis im Bundesstaat Indiana entlassen. Der Amerikaner hat im Knast einige erstaunliche Geschichten erlebt, die er in seiner Biografie die Unbestreitbare Wahrheit sehr amüsant beschreibt. Nach einem ersten ebenfalls sehr amüsanten Sieg gegen Journeyman Peter McNeeley will Tyson das zurück was ihm zusteht, seine WM-Gürtel. Und es wird sehr schnell gehen: Im März 1996 demontiert er erneut den Engländer Frank Bruno und holt sich den WBC-Titel, nur knapp sechs Monate später bezwingt er Bruce Seldon und schnappt sich die WM der Version der WBA. Beide Boxer sind zu diesem Zeitpunkt keine Gegner für Tyson und es wird Iron Mike relativ leicht gemacht an die Spitze zurückzukehren. Sein Promoter Don King bezahlt Lennox Lewis angeblich sogar vier Millionen Dollar, sodass dieser sein Anrecht auf einen Kampf um den WBC-Titel an Tyson weitergibt. Der Mann aus Brooklyn wird wieder von sehr vielen Boxfans als Nummer Eins der Königsklasse wahrgenommen, auch wenn sein boxerisches Niveau merklich nachgelassen hat. Und sein damaliger Kontrahent Evander Holyfield ist auch noch im Geschäft, sodass das lang ersehnte Duell der beiden endlich stattfinden kann.
Um gegen Holyfield zu boxen, muss Tyson den WBC-Gürtel niederlegen. Der World Boxing Council hat eine Pflichtverteidigung gegen eben jenen Lennox Lewis angesetzt, den Don King sich vom Leib gekauft hat. Doch Tyson will lieber gegen Holyfield boxen. Seinem Gegner aus Alabama werden Herzprobleme nachgesagt und nach Niederlagen gegen Michael Moorer und Riddick Bowe scheint er die leichtere Aufgabe als der nach oben strebende Hüne Lewis. Tyson ist klarer Favorit, doch der Kampf am 9. November 1996 im MGM Grand wird ganz anders laufen als erwartet. Holyfield hält den ersten Ansturm Tysons aus und leistet Widerstand. Aber der Mitte des Kampfes wird er immer stärker und der Ringrichter bricht den Kampf in der elften Runde wegen Überlegenheit Holyfields ab. Auch wenn viele Fans die häufigen ungeahndeten Kopfstöße von Holyfield bemängeln, ist der Mythos Tyson endgültig zerbrochen. Der Mann aus Brooklyn ist auf Widerstand gestoßen und hatte dem Ganzen an diesem Abend einfach nichts entgegenzusetzen. Die Zeit im Gefängnis, die mangelnde Disziplin und das falsche Management haben ihren Tribut gefordert. Tyson ist alterstechnisch eigentlich in den besten Jahren eines Schwergewichtlers, aber man sieht es ihm nicht an. An sich ist es ein Wunder, dass er immer noch auf Weltniveau boxt. Im Rückkampf gegen The Real Deal Holyfield, der als der legendäre Bit Fight in die Boxgeschichte eingeht, beißt Tyson seinen Gegner zweimal ins Ohr und wird dafür disqualifiziert. Wieder ist Holyfield mit Kopfstößen aktiv gewesen, wieder sieht der Ringrichter darüber hinweg und diesmal sieht Tyson rot. Er verliert seine Boxlizenz und scheint nun endgültig am Boden angekommen.
TYSON HOLYFIELD EINS
DER LETZTE TANZ
Manche Menschen holen Dich aus der Sklaverei, damit Du Ihr Sklave bist.
Der 1,78m große Tyson hat mittlerweile sehr viel an Größe verloren. Doch seine Niederlagen nagen nicht an ihm, er hat längst nicht mehr den Ehrgeiz früherer Tage. Er will Geld verdienen und boxt weiter. Auf seiner Comeback Tour schlägt er immerhin Frans Botha und Andrew Golota, zwei Boxer die man zu diesem Zeitpunkt zur Top 15 zählen kann. Allerdings wirkt der ehemalige Ausnahmeboxer mittlerweile extrem eingerostet. Doch es winkt noch ein ganz großer Zahltag und den will er sich nicht entgehen lassen. Lennox Lewis hat alle Titel inklusive der linearen Weltmeisterschaft im Schwergewicht vereinigt und will als I-Tüpfelchen seiner Karriere noch den Sieg gegen den längst legendären Iron Mike. Der Kampf wird von den Medien und den Kämpfern dermaßen aufgeblasen, dass eine Reihe Securities im Ring eine Reihe bilden um die Kämpfer vor dem Gefecht voneinander zu trennen. Tyson hat Lewis auf einer Pressekonferenz vor dem Kampf ins Bein gebissen, er wirkt teilweise völlig außer Kontrolle.
Der Kampf bricht zwar Pay-per-View Rekorde, ist aber qualitativ meilenweit von einem Weltklasse-Spektakel entfernt. Tyson geht schon nach wenigen Runden die Puste aus und Lewis knockt den vielleicht elektrisierensten Boxer seit Muhammad Ali in der achten Runde aus. Iron Mike ist am Boden und will auch nicht mehr hoch kommen. Er sammelt in diesem Kampf und durch sein Verhalten danach zwar Sympathiepunkte wie nie, doch es ist klar dass er nie mehr ans seine Glanzzeiten anknüpfen wird. Nach der Niederlage gegen Lewis bestreitet er noch drei weitere Kämpfe, ehe er sich im Juni 2005 vom Boxsport zurückzieht. Seine Profikarriere endet mit 50 Siegen und sechs Niederlagen. Auch nach seiner Karriere bestimmt er die Schlagzeilen, in den letzten Jahren häufig sogar so positiv wie nie. Neben einigen Auftritten in Hollywood Blockbustern, unvergessen in der Komödie Hangover, vertreibt er mittlerweile auch sein eigenes Cannabis. Mit seiner Comedy Tour, bei der er über sein eigenes Leben erzählt, füllt er große Hallen in Vegas. Seine Sucht hat er in unzähligen Rehabs und Therapien scheinbar erfolgreich bekämpft. Er wirkt deutlich ruhiger und gelassener als früher und lebt heute mit seiner großen Familie in Las Vegas, Nevada. Im April 2020 wird sogar über eine Comeback Tysons zu Charity-Zwecken gemunkelt.
MIKE TYSON HIGHLIGHT REEL
VERMÄCHTNIS
Immer wieder stellen sich Boxfans die Frage: Wie gut war Iron Mike Tyson eigentlich? Ein Rohdiamant, der unter extremem Druck geschliffen und geformt wurde, allerdings dann auch relativ schnell geplatzt ist. Unvergessen sind seine brutalen Knock-Outs, sein permanenter Angriffsmodus und seine einschüchternde Aura. Er hat den Peekaboo Stil von Cus D’Amato auf unglaubliche Art und Weise perfektioniert und war so trotz seiner relativ geringen Größe und Reichweite für viele Schwergewichtler ein absoluter Alptraum. Auf der Gegenseite zu Tysons Hochstatus stehen Niederlagen in Big Fights, Skandale und die riesengroße Frage: Was wäre wenn?
Was wäre wenn Cus D’Amato erst viel später gestorben wäre? Was wäre wenn Tyson seinem Coach Kevin Rooney treu geblieben wäre? Was wäre wenn er sich nicht mit Robin Givens eingelassen hätte? Was wäre wenn er nicht drei Jahre seiner Blütezeit im Gefängnis in Indiana verbracht hätte? Kaum ein anderer Boxer hat so viele große Fragezeichen in seiner Karriere wie Iron Mike. Muss man Tyson am Ende sogar noch Respekt dafür zollen, dass er es trotz all dieser Widrigkeiten geschafft hat als Boxer extrem erfolgreich zu werden? Oder wird er als das größte verschwendete Talent in die Geschichte eingehen? Wie so oft im Leben liegt die Antwort wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Fakt ist, dass Tyson die Boxfans bis heute beschäftigt und kaum ein anderer selbst aktiver Schwergewichtler solch eine Aufmerksamkeit bekommt wie Iron Mike.
Vor einigen Jahren dann, bekommt der Mann aus Brooklyn einen Anruf. Es ist die Boxing Hall of Fame, die ihm verkündet dass er aufgenommen wird. Als Tyson aufgelegt hat, schießen ihm sofort die Tränen in die Augen, so glücklich ist er. Vielleicht sagen diese Emotionen mehr über den Menschen und Boxer Mike Tyson aus, als die vielen Erfolge die er im Ring hatte. Wie gut Tyson war, muss am Ende jeder für sich selbst bewerten. Doch eines ist sicher, er hat seine Ära geprägt, Rekorde aufgestellt und die Massen begeistert. Und was will man mehr von einem großen Boxchampion erwarten?
AKTUELLE FOLGE TOE TO TOE ÜBER IRON MIKE
Sehr empfehlenswerte Bücher über Mike Tyson: Unbestreitbare Wahrheit | Angst und Feuer
Quelle Titelbild: flickr.com – Eva Rinaldi
ROMAN HORSCHIG
Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.
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