Mit freundlicher Unterstützung von Tim Yilmaz und dem Mariposa Boxing Club

Mike Tyson bei BoxRec | Mike Tyson Homepage

Einer meiner Freunde sah mal das Strafregister eines Typen und sagte: “Guck mal der Typ ist ein Verrückter, ein geborener Looser.” Ich sagte ihm: “Nein, das ist mein Strafregister und es ist ohne Jugendstraftaten.”*

Manchmal werden schlechte Witze über das Viertel Brownsville in Brooklyn gemacht. Man sagt, wenn man irgendwo im Ghetto wohnt und keinen Job hat ist das ein Scheißleben. Aber immernoch besser als ein Leben ins Brownsville. Anfang der Siebziger Jahre wächst in dem Problemviertel ein Ghettokind wie jedes andere auf. Kriminalität, Diebstähle und Überfälle stehen an der Tagesordnung. Der Junge ist zu Beginn verängstigt und wird des öfteren drangsaliert und schikaniert, er versteckt sich so oft er nur kann.  Von seiner Mutter wird er des öfteren verprügelt, sein Vater hat ihn früh verlassen. Beruflich sind beide im horizontalen Gewerbe unterwegs, seine Mutter ist Prostituierte, sein Vater ist Zuhälter.

Doch irgendwann kommt der Punkt an dem der Junge beginnt sich zu wehren. Er schlägt andere teilweise größere Jungs in Schlägereien K.O und macht sich einen Namen auf der Straße. Anstatt schikaniert zu werden, ist er nun am Drücker. Der junge Jugendliche begeht immer mehr Diebstähle und hat schnell seinen Ruf weg. Doch schon mit zwölf Jahren erlebt die kriminelle Karriere des Straßenjungen einen erheblichen Knick. Nach 38 Festnahmen durch die Polizei landet der Zwölfjährige in einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Dort gibt es einen ehemaligen Boxer, der sich der jungen Männer annimmt. Nach anfänglichen Widerständen boxt Mister Stewart schließlich auch mit dem Straßenjungen aus Brownsville. Er ist von dessen Fähigkeiten so beeindruckt, dass er ihn umgehend einem seiner Bekannten aus der Boxszene vorstellt. Der Bekannte ist die Trainerlegende Cus D’Amato, der Junge ist Mike Tyson und das Ganze ist der Beginn einer der verrücktesten Geschichten, die das Schwergewichtsboxen und auch das Leben jemals gesehen haben.

* Alle Zitate zu Beginn eines jeden Abschnitts sind von Iron Mike Tyson

VATERFIGUR

Jeder sagt er wäre gerne ich, diese ganzen Leute wissen einen Scheiss. Wenn Sie ich wären, würden sie weinen wie kleine Babys.

D’Amato ist von Tyson begeistert und nimmt den mittlerweile dreizehnjährigen jungen Mann unter seine Fittiche. Er will aus Tyson den nächsten Weltmeister im Schwergewicht machen und verkündet es auch jedem der es hören will. Cus D’Amatos boxerisches Wissen und seine Fähigkeiten sind unbestritten. Bisher hat er mit Floyd Patterson und Jose Torres zwei Weltmeister geformt, doch die fehlende Anerkennung und endlose Konflikte innerhalb der Boxszene nagen an dem Mann aus New York City. Er wird längst nicht mehr von jedem als großer Trainer gesehen und will es unbedingt noch einmal allen beweisen. Tyson steht für seine Hoffnung auf Rache an der Boxszene. Er will den jungen Boxer in seinem einzigartigen Peekaboo Stil unterrichten und lässt den Jungen mit der kriminellen Vergangenheit bei sich zu Hause in Catskill einziehen. Für Tyson gibt es, von seinen vereinzelten Fluchten zurück in die Heimat mal abgesehen, von diesem Tag an nichts anderes als hartes Boxtraining in D’Amatos Boxschule über einer Polizeiwache. Das Haus in Catskill, in dem der Italiener mit seiner Lebensgefährtin wohnt, liegt in einer ländlichen Gegend. Der heißspornige Tyson wird quasi zu einem Mönchsleben gezwungen. 

D’Amato triezt den Jungen, bringt ihn zu weinen und lässt ihn permanent durch die Hölle gehen. Er baut ihn auf und vermittelt ihm einen gottähnlichen Status, nur um ihn im nächsten Moment wieder mental vollkommen zu brechen. Charakter, Disziplin und Furchtlosigkeit sind nur einige Dogmen die sich D’Amato auf die Fahnen geschrieben hat. Er unterzieht ihn einem kompletten Persönlichkeitstraining, schickt ihn sogar zur Hypnose beim legendären John Halpin. Dazu kommt Tysons riesengroßes Interesse am Boxsport, er verschlingt die Bücher in Cus Bibliothek reihenweise und zieht sich noch bis spät in die Nacht alte Boxkämpfe rein. Kombiniert mit D’Amatos hartem und zielgerichteten Boxtraining und seinem Einfluss auf die Psyche des Jungen ist das eine unschlagbare Kombination. Aus D’Amatos Sicht soll Tyson der brutalste Mensch auf diesem Planeten werden. Der alte Boxtrainer glaubt so sehr an den Jungen, dass er in einem Interview sagt: Wenn Mike nicht hier wäre, wäre ich wahrscheinlich längst nicht mehr am Leben. Als Tysons Mutter stirbt, adoptiert der Boxtrainer den Jungen und ist mehr denn je seine größte Stütze im Leben.

JUNGER TYSON MIT CUS D’AMATO

RAKETENSTART

Disziplin: Das zu tun was Du hasst, aber es so zu tun als würdest Du es lieben.

Und Tyson legt los wie die Feuerwehr. Für ihn ist D’Amato eine Vaterfigur geworden, die er unbedingt zufrieden stellen will. Der Junge aus Brooklyn ist wie ein Soldat, der für seinen Feldherrn durch die Hölle geht. Tyson beginnt auf sogenannten Smokern in der Region zu boxen. Verrauchte Zelte auf denen sich dunkle Gestalten aus dem Milieu rumtreiben. Und der junge Amerikaner schickt seine Gegner reihenweise in den Ringstaub, obwohl die meisten von ihnen deutlich älter sind als er. Die Angst ist wie Feuer, lautet ein weiteres von D’Amatos Dogmen. Wenn Du lernst sie zu kontrollieren dann arbeitet sie für Dich. Wenn Du Dich aber von ihr kontrollieren lässt, kann sie alles zerstören. Mit jedem Kampf wird der junge Tyson mehr und mehr zu Attraktion.

Seine erste Niederlage seiner Amateurkarriere erleidet er gegen den elf Jahre älteren erfahrenen Haudegen Ernie Benett, doch sie kann ihn nicht aufhalten. Tyson ist nicht zu stoppen und gewinnt 1981 und 1982 die Nationale Junior Olympiade. Bei dem Juniorenturnier melden viele Trainer ihre Kämpfer ab, als sie sehen das Tyson antritt. Zu diesem Zeitpunkt wird der aufstrebende Boxer vom heute berühmten Boxcoach Teddy Atlas trainiert. Nach einem folgenreichen Konflikt und der Trennung von Atlas übernimmt der Cus D’Amato Schüler und ehemalige Boxer Kevin Rooney das Ruder. Rooney boxt sogar auf einigen Turnier auf denen Tyson antritt selber mit, er ist ein Mann zu dem der Junge aufschaut.  Im Alter von 18 Jahren gewinnt Tyson dann die prestigeträchtigen Golden Gloves bei den Erwachsenen. Es scheint keine Grenzen für den aufstrebenden Schüler D’Amatos zu geben. Er hat alles was der alte Italiener ihm beigebracht hat komplett verinnerlicht.

Bei der darauffolgenden Qualifikation für die olympischen Sommerspiele in Los Angeles 1984 muss sich Tyson, dessen Spitzname in jungen Jahren Kid Dynamite ist, nur zweimal höchst umstritten dem bärenstarken Amateurboxer Henry Tillman geschlagen geben. Tillmann gewinnt in der Folge Gold in Los Angeles im Schwergewicht. Er ist ein Ausnahmeathlet und hoch talentierter Boxer. Tyson hat also im Alter von 18 Jahren knapp gegen den deutlich erfahrenen späteren Olympiasieger verloren, für viele Boxexperten hat er ihn ihrem zweiten Fight sogar geschlagen. Kurz entscheidet sich das boxerische Jahrhunderttalent Profiboxer zu werden.

TYSON GEGEN TILLMAN

TYSON BEI DER JUNIOR OLYMPIADE

JUNG BRUTAL UND AUF DER JAGD

Ich könnte mit dem Boxen aufhören und könnte alles tun. Ich wäre überall genauso erfolgreich wie im Boxen.

Am 6. März 1985 gibt Michael Gerard Tyson sein Profidebüt in New York und bezwingt Hector Mercedes in der ersten Runde durch Knockout. In seinem ersten Jahr als Profi boxt Tyson insgesamt 15 Mal, verglichen mit der heutigen Zeit unwahrscheinlich viele Gefechte. Immer in seiner Ecke Kevin Rooney, der es schafft zu Tyson durchzudringen und außerhalb des Ringes ein Publikum, dass Tyson wegen seiner Brutalität im Ring anhimmelt. Und der junge Mann aus Brooklyn hat Druck. Sein Mentor und Trainer Cus D’Amato hat eine schwere Lungenkrankheit und dadurch nicht mehr wirklich lange zu leben. Tyson will den Weltmeistergürtel für ihn holen, und er scheint nicht zu stoppen. 

Doch den aufstrebenden Star trifft Ende des Jahres ein Rückschlag, der härter ist als alles was er bisher im Boxring erlebt hat. Cus D’Amato stirbt im Alter von 77 Jahren tatsächlich an seiner Lungenkrankheit. Der Mann, der Tyson einmal als seine Rache an der Boxwelt bezeichnet hat, hinterlässt im Leben des jungen Boxers eine extrem große Leere. Einer seiner letzten Sätze zu Tyson ist: “Die Welt muss dich sehen, Mike. Du wirst Weltmeister, der Größte.”  Tyson selbst sagt: “Nach seinem Tod war mir alles egal. Ich boxte nur noch wegen des Geldes.” Obwohl er diesen Satz eventuell auch von seinem großen Idol Jack Dempsey geklaut hat, ist Tyson danach nie mehr ganz derselbe. D’Amato, der auch aus schwierigen Verhältnissen stammt, ist für Tyson eine unersetzliche Vaterfigur gewesen. Kid Dynamite nimmt zu seinen nächsten Kämpfen ein Bild D’Amatos mit, mit dem er vor den Kämpfen seine Taktik bespricht. Der junge Mann leidet für Wochen seelische Höllenqualen. Und tatsächlich wird Mike Tyson bereits im Alter von 19 Jahren seinen Zenit in Sachen Disziplin und boxerische Weiterentwicklung nahezu erreicht haben. D’Amatos Tod ist das erste in einer Kette von vielen Ereignissen, die den jungen Amerikaner völlig aus der Bahn werfen. Doch zuerst setzt er seinen Weg in den Boxolymp unbeirrt fort. Er ist so gut und von Talent gesegnet, dass er im Ring nahezu alles ausblenden kann.

Tyson zerstört bis September 1986 zwölf weitere Gegner und steht bei einem Kampfrekord von 27-0. Einzig Mitch Green und James Tillis überstehen das Gefecht mit dem Mann aus Brooklyn bis zum letzten Gong, verlieren dann aber nach Punkten. Es wird gemunkelt, dass Tyson sie nur nicht ausgeknockt hat, weil er mal über die volle Rundendistanz boxen sollte. Nach einem Kampf gibt er zu Protokoll, er möchte seinem Gegner das Nasenbein ins Hirn zurück prügeln. Es sind D’Amatos Suggestionen die aus ihm sprechen. Der Mann aus Brooklyn hat im Ring die brutalste Ausstrahlung, die es seit langem im Schwergewicht gegeben hat. Einschüchterung ist das Mittel überhaupt, was ihm in seiner Karriere einige Siege einbringen wird. Tyson bringt den Glanz alter Tage zurück, nachdem sich das Publikum so sehnt. Nichtsdestotrotz wirkt er außerhalb des Rings immer noch oft wie ein schüchterner Junge, der oft nicht weiß was er sagen soll. Er muss extrem schnell erwachsen werden. Schon Ende des Jahres ist er kurz davor seinen Jugendtraum wahr zu machen:  Er boxt gegen Trevor Berbick um die WBC-Weltmeisterschaft.

TYSON GEGEN TILLIS HIGHLIGHTS

REKORD FÜR DIE EWIGKEIT

Jeder hat einen Plan, bis er eins in die Fresse kriegt.

Im Hilton Hotel in Las Vegas schreibt der 20 Jahre alte Mike Tyson 1986 tatsächlich Boxgeschichte. Er löst den anderen großen D’Amato Schüler Floyd Patterson durch einen Sieg gegen Trevor Berbick als jüngster Boxweltmeister der Geschichte ab. Trotz Tripper und einen mit Antiobitoka vollgepumpten Körper knockt er den Jamaikaner in der zweiten Runde brutal aus. HBO Ansager Barry Watkins verkündet umgehend eine neue Ära im Boxsport, die Arena bebt. Einen wie Tyson hat selbst das verwöhnte Boxpublikum in Amerika noch nie gesehen. Ihn umgibt eine unglaubliche Aura von Brutalität und Kompromisslosigkeit. Er wirkt eher wie ein Bodybuilder, sein Halsumfang beträgt 48 Zentimeter, mehr als bei fast allen anderen Champions im Schwergewicht zuvor. Nur Primo Carnera, der im Zirkus auch als Kraftmensch auftrat, kommt auf denselben Wert. Sein erfahrener Gegner, der immerhin den Kampf sucht, hat zu keinem Zeitpunkt eine Chance. Tyson widmet den Sieg umgehend seinem Adoptivvater Cus D’Amato, er ist am Zenit angekommen und wird als Schwergewichtsweltmeister von unglaublich vielen Menschen vergöttert. Um seinen Triumph noch einmal hervorzuheben: Tysons Kampf gegen Berbick ist sein erster Kampf überhaupt, der auf zwölf Runden angesetzt ist. Er hat es wirklich allen gezeigt und das in Rekordzeit.

Doch schon zu diesem Zeitpunkt wird die fehlende Führung in Tysons Leben sichtbar. Mit 20 Jahren ist er immer noch ein Junge und treibt sich wieder häufiger in seiner Heimat Brownsville rum. Von seinen Managern Steve Lott und Jimmy Cayton fühlt er sich immer mehr eingeengt. Das positive Image, dass er nach Außen ausstrahlen soll ekelt ihn in Wirklichkeit an. Tyson trainiert zwar weiter hart im Boxstudio in Catskill, aber er lässt es ebenso hart krachen. Seine ambivalenter Lebensstil wird an einer Anti-Drogen Kampagne deutlich, deren Gesicht Tyson sein soll. Während er fröhlich “Sagt Nein zu Drogen” in die Kamera spricht, ist er selber noch high.

Doch noch machen sich der Lebenswandel und die fehlende Disziplin im Ring nur wenig bemerkbar. In seinem nächsten Kampf sichert sich Tyson gegen James Smith den WBA-Gürtel. Tyson betritt wie immer ohne Socken und in schwarzen Shorts den Boxring und lässt seinem Gegner, der den Spitznamen Knochenbrecher trägt, nicht den Hauch einer Chance. Tatsächlich klammert Smith den größten Teil des Kampfes und will sich Tyson in keinem wirklichen Gefecht stellen. Die Angst vor der Kraft des jungen Weltmeisters ist selbst bei einem erfahrenen und starken Boxer wie Smith zu groß. in seiner zweiten Titelverteidigung bezwingt er Ex-Weltmeister Pinklon Thomas durch TKO in Runde sechs. Im nächsten Duell wartet der von Emanuel Steward betreute und in 34 Gefechten unbesiegte IBF-Weltmeister Tony Tucker auf Tyson. Doch auch er ist in einem Duell über zwölf Runden nahezu chancenlos. Tyson hat alle großen Schwergewichtsgürtel vereinigt: WBC, WBA und IBF. Er ist der erste Boxer in der Geschichte des Schwergewichts, der dies jemals schafft. Doch eine Sache fehlt noch in Tysons illustrer Sammlung: Die lineare Weltmeisterschaft, deren Linie sich bis zum ersten Weltmeister John L. Sullivan zurückverfolgen lässt.

TYSON WIRD JÜNGSTER WELTMEISTER

TYSON VEREINIGT ALLE DREI GÜRTEL

HIMMEL UND HÖLLE

Ich war immer eine Bestie, ein dressierter Gorilla, ein armer Säufer, ein arroganter Psychopath, der jüngste Schwergewichts-Weltmeister und ein Arschloch. Ich hätte den Titel am 11. Februar 1990 in Tokio nicht an Buster Douglas verloren, wenn ich damals nicht mein gewohntes, spezielles Aerobics praktiziert hätte: Alle Zimmermädchen des Hotels zu vögeln. Ich hätte die Frauen lieber wegschicken sollen. So möchte nicht in Erinnerung bleiben.

Nach seinem Sieg gegen Larry Holmes ist Michael Spinks, und nicht Tyson, der lineare Weltmeister im Schwergewicht. Nachdem Tyson seine drei Gürtel noch drei weitere Male, unter anderem eben gegen den legendären und gealterten Larry Holmes, verteidigt hat kommt es am 27. Juni 1988 zum Showdown zwischen den beiden anerkannten Champions. Spinks hat eine illustre Karriere im Halbschwergewicht vorzuweisen und hat Holmes, allerdings auch nach seiner Prime, zweimal in einem Gefecht über 15 Runden besiegt. Er ist zudem ehemaliger Olympiasieger und scheint der letzte relevante Gegner für Iron Mike Tyson zu sein. Der Mann aus St. Louis verdient 13 Millionen mit dem auf gehypten Duell der beiden Champions. Doch er ist der Herausforderung keine Sekunde gewachsen. Laut Insiderkreisen sollen ihm sogar im Warteraum die Tränen gekommen sein, weil er um sein Leben gefürchtet hat. Selbst so ein gestandener Boxer wie Spinks, hat eine enorme Angst vor Mike Tyson der immer noch in seinen frühen Zwanzigern ist. Tyson betritt den Ring mit einem Trauermarsch und knockt Spinks in der ersten Runde auf brutale Weise aus. Der junge Mann aus Brooklyn ist somit endgültig an der absoluten Spitze angekommen. Er ist der dominierende Mann der Boxszene und hat das abgehalfterte Schwergewicht im absoluten Alleingang wiederbelebt. Durch Tyson erlebt Boxen einen geradezu unmenschlichen Hype, beispielsweise wird der aktuelle Schwergewichts-Dominator Tyson Fury nach dem Boxer aus Brooklyn benannt. Doch neben dem Boxring ist sein Leben komplett aus den Fugen geraten. Er befindet sich mitten in einem Rechtsstreit mit seiner Noch-Ehefrau Robin Givens, der Einfluss seines Promoters Don King wirkt wie ein langsames Gift, sein Trainer und Vertrauter Kevin Rooney verlässt ihn und der Schwergewichts-King selbst verliert sich immer mehr in den Drogen.

Nach zwei weiteren Titelverteidigungen sitzt Tyson in einem Flieger nach Japan. Er soll seine Titel dort gegen Buster Douglas verteidigen, einen Schwergewichtler der zu dieser Zeit vielleicht gerade so an den Top 10 kratzt. Tyson hat innerlich keine Lust auf den Kampf, er hat das ständige Training und die Disziplin satt. Stattdessen vergnügt sich der Mann aus Brooklyn lieber mit den Zimmermädchen. Als es dann zum Gefecht kommt, wirkt Tyson unkonzentriert und fahrig. Douglas, dessen Mutter kurz vor dem Kampf gestorben ist, ist der stärkere Mann. In der achten Runde scheint Tyson das Duell mit einem heftigen und perfekt getimten Aufwärtshaken doch noch zu drehen und schickt Douglas auf den Ringboden. Doch der Mann aus Columbus steht vor Ablauf der zehn Sekunden wieder auf und knockt den als unbesiegbar geltenden Mike Tyson in der zehnten Runde aus. Der Tokyo Dome hat soeben die größte Überraschung der Boxgeschichte gesehen, vielleicht sogar die größte Überraschung der gesamten neueren Sportgeschichte. Douglas hat den Kampf seines Lebens gekämpft, der 42 zu 1 Underdog ist neuer Undisputed Champion in der Königsklasse. Und Mike Tyson wirkt nicht nur im Ring angezählt.

TYSONS ERSTE PROFINIEDERLAGE

TYSON DEMONTIERT SPINKS

DIE EINSAME KRIEGERSEELE

Ich bin genauso wie Du, auch ich genieße die verbotenen Früchte des Lebens.

Tyson ist mittlerweile mehr außerhalb, denn innerhalb des Rings gefordert. Gerichtsprozesse, Konflikte und eine fehlende Führungsfigur saugen dem immer noch relativ jungen Mann aus Brooklyn Stück für Stück die Lebensenergie ab. Tyson hat den Ruhm tief im Inneren sowieso kaum genossen, jetzt verliert er sich endgültig darin. Er hat einfach keine klare Linie mehr im Leben. Trotzdem boxt er weiter und aufgrund seines unbeschreiblichen Talents und der immer noch wirkenden Schule von Cus D’Amato auch erfolgreich. Zuerst revanchiert er sich mit einem deutlichen Sieg gegen Henry Tillmann für die damalige Nicht-Qualifikation für Olympia, danach bezwingt er in zwei Schlachten den extrem hoch gehandelten Razor Ruddock. Tyson ist noch da und will seine Gürtel zurück, auch wenn ihm Geld mittlerweile wichtiger geworden ist. Der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten vergnügt sich neben dem Ring mit unzähligen Frauen und Drogen. An sich ist es unglaublich, dass er trotzdem im Seilgeviert abliefert und starken Boxern die Grenzen aufzeigt. Und die WM-Chance naht, der Kampf gegen Champion Evander Holyfield ist in trockenen Tüchern. Der ehemalige Cruisergewichtsweltmeister hat Buster Douglas geschlagen und ist die Herausforderung Nummer Eins für Tyson. Doch ein Ausflug nach Indiana wird dem Mann aus Brooklyn, Holyfield und Boxfans auf der ganzen Welt einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen.

Auf einem Event im Land der Indianer lernt Tyson die Schönheitskönigin Desiree Washington kennen. Der immer noch als Nummer Eins im Schwergewicht geltende Tyson ist es gewohnt, dass er jede Frau bekommt die er haben will. So steckt er auf der After-Party sicher einem Dutzend Frauen seine Nummer zu, doch es ist Washington mit der er am Ende auf dem Hotelzimmer landet. Es kommt eins zum anderen und die junge Schauspielerin wird Tyson nach dieser Nacht wegen einer angeblichen Vergewaltigung anklagen. Was wirklich passiert ist werden wir vermutlich niemals erfahren, Fakt ist das Tyson zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt wird. Iron Mike beteuert zwar stets seine Unschuld, doch die Jury bekennt ihn für schuldig. Er selbst sagt später, dass der Knastaufenthalt  vielleicht sogar gut für ihn ist. Sein Leben ist zu diesem Zeitpunkt so turbulent, dass er dringend Luft zum Atmen braucht. Ähnlich wie Muhammad Ali wird aber auch Tyson zu einer Pause vom Boxen gezwungen.

WILLKOMMEN ZURÜCK

Ich bin nicht Mutter Theresa, aber ich bin auch nicht Charles Manson.

Am 25. März 1995 wird Mike Tyson wegen guter Führung aus dem Gefängnis im Bundesstaat Indiana entlassen. Der Amerikaner hat im Knast einige erstaunliche Geschichten erlebt, die er in seiner Biografie die Unbestreitbare Wahrheit sehr amüsant beschreibt. Nach einem ersten ebenfalls sehr amüsanten Sieg gegen Journeyman Peter McNeeley will Tyson das zurück was ihm zusteht, seine WM-Gürtel. Und es wird sehr schnell gehen: Im März 1996 demontiert er erneut den Engländer Frank Bruno und holt sich den WBC-Titel, nur knapp sechs Monate später bezwingt er Bruce Seldon und schnappt sich die WM der Version der WBA. Beide Boxer sind zu diesem Zeitpunkt keine Gegner für Tyson und es wird Iron Mike relativ leicht gemacht an die Spitze zurückzukehren. Sein Promoter Don King bezahlt Lennox Lewis angeblich sogar vier Millionen Dollar, sodass dieser sein Anrecht auf einen Kampf um den WBC-Titel an Tyson weitergibt. Der Mann aus Brooklyn wird wieder von sehr vielen Boxfans als Nummer Eins der Königsklasse wahrgenommen, auch wenn sein boxerisches Niveau merklich nachgelassen hat. Und sein damaliger Kontrahent Evander Holyfield ist auch noch im Geschäft, sodass das lang ersehnte Duell der beiden endlich stattfinden kann.

Um gegen Holyfield zu boxen, muss Tyson den WBC-Gürtel niederlegen. Der World Boxing Council hat eine Pflichtverteidigung gegen eben jenen Lennox Lewis angesetzt, den Don King sich vom Leib gekauft hat. Doch Tyson will lieber gegen Holyfield boxen. Seinem Gegner aus Alabama werden Herzprobleme nachgesagt und nach Niederlagen gegen Michael Moorer und Riddick Bowe scheint er die leichtere Aufgabe als der nach oben strebende Hüne Lewis. Tyson ist klarer Favorit, doch der Kampf am 9. November 1996 im MGM Grand wird ganz anders laufen als erwartet. Holyfield hält den ersten Ansturm Tysons aus und leistet Widerstand. Aber der Mitte des Kampfes wird er immer stärker und der Ringrichter bricht den Kampf in der elften Runde wegen Überlegenheit Holyfields ab. Auch wenn viele Fans die häufigen ungeahndeten Kopfstöße von Holyfield bemängeln, ist der Mythos Tyson endgültig zerbrochen. Der Mann aus Brooklyn ist auf Widerstand gestoßen und hatte dem Ganzen an diesem Abend einfach nichts entgegenzusetzen. Die Zeit im Gefängnis, die mangelnde Disziplin und das falsche Management haben ihren Tribut gefordert. Tyson ist alterstechnisch eigentlich in den besten Jahren eines Schwergewichtlers, aber man sieht es ihm nicht an. An sich ist es ein Wunder, dass er immer noch auf Weltniveau boxt. Im Rückkampf gegen The Real Deal Holyfield, der als der legendäre Bit Fight in die Boxgeschichte eingeht, beißt Tyson seinen Gegner zweimal ins Ohr und wird dafür disqualifiziert. Wieder ist Holyfield mit Kopfstößen aktiv gewesen, wieder sieht der Ringrichter darüber hinweg und diesmal sieht Tyson rot. Er verliert seine Boxlizenz und scheint nun endgültig am Boden angekommen.

TYSON HOLYFIELD EINS

DER LETZTE TANZ

Manche Menschen holen Dich aus der Sklaverei, damit Du Ihr Sklave bist.

Der 1,78m große Tyson hat mittlerweile sehr viel an Größe verloren. Doch seine Niederlagen nagen nicht an ihm, er hat längst nicht mehr den Ehrgeiz früherer Tage. Er will Geld verdienen und boxt weiter. Auf seiner Comeback Tour schlägt er immerhin Frans Botha und Andrew Golota, zwei Boxer die man zu diesem Zeitpunkt zur Top 15 zählen kann. Allerdings wirkt der ehemalige Ausnahmeboxer mittlerweile extrem eingerostet. Doch es winkt noch ein ganz großer Zahltag und den will er sich nicht entgehen lassen. Lennox Lewis hat alle Titel inklusive der linearen Weltmeisterschaft im Schwergewicht vereinigt und will als I-Tüpfelchen seiner Karriere noch den Sieg gegen den längst legendären Iron Mike. Der Kampf wird von den Medien und den Kämpfern dermaßen aufgeblasen, dass eine Reihe Securities im Ring eine Reihe bilden um die Kämpfer vor dem Gefecht voneinander zu trennen. Tyson hat Lewis auf einer Pressekonferenz vor dem Kampf ins Bein gebissen, er wirkt teilweise völlig außer Kontrolle. 

Der Kampf bricht zwar Pay-per-View Rekorde, ist aber qualitativ meilenweit von einem Weltklasse-Spektakel entfernt. Tyson geht schon nach wenigen Runden die Puste aus und Lewis knockt den vielleicht elektrisierensten Boxer seit Muhammad Ali in der achten Runde aus. Iron Mike ist am Boden und will auch nicht mehr hoch kommen. Er sammelt in diesem Kampf und durch sein Verhalten danach zwar Sympathiepunkte wie nie, doch es ist klar dass er nie mehr ans seine Glanzzeiten anknüpfen wird. Nach der Niederlage gegen Lewis bestreitet er noch drei weitere Kämpfe, ehe er sich im Juni 2005 vom Boxsport zurückzieht. Seine Profikarriere endet mit 50 Siegen und sechs Niederlagen. Auch nach seiner Karriere bestimmt er die Schlagzeilen, in den letzten Jahren häufig sogar so positiv wie nie. Neben einigen Auftritten in Hollywood Blockbustern, unvergessen in der Komödie Hangover, vertreibt er mittlerweile auch sein eigenes Cannabis. Mit seiner Comedy Tour, bei der er über sein eigenes Leben erzählt, füllt er große Hallen in Vegas. Seine Sucht hat er in unzähligen Rehabs und Therapien scheinbar erfolgreich bekämpft. Er wirkt deutlich ruhiger und gelassener als früher und lebt heute mit seiner großen Familie in Las Vegas, Nevada. Im April 2020 wird sogar über eine Comeback Tysons zu Charity-Zwecken gemunkelt.

MIKE TYSON HIGHLIGHT REEL

VERMÄCHTNIS

Immer wieder stellen sich Boxfans die Frage: Wie gut war Iron Mike Tyson eigentlich? Ein Rohdiamant, der unter extremem Druck geschliffen und geformt wurde, allerdings dann auch relativ schnell geplatzt ist. Unvergessen sind seine brutalen Knock-Outs, sein permanenter Angriffsmodus und seine einschüchternde Aura. Er hat den Peekaboo Stil von Cus D’Amato auf unglaubliche Art und Weise perfektioniert und war so trotz seiner relativ geringen Größe und Reichweite für viele Schwergewichtler ein absoluter Alptraum. Auf der Gegenseite zu Tysons Hochstatus stehen Niederlagen in Big Fights, Skandale und die riesengroße Frage: Was wäre wenn?

Was wäre wenn Cus D’Amato erst viel später gestorben wäre? Was wäre wenn Tyson seinem Coach Kevin Rooney treu geblieben wäre? Was wäre wenn er sich nicht mit Robin Givens eingelassen hätte? Was wäre wenn er nicht drei Jahre seiner Blütezeit im Gefängnis in Indiana verbracht hätte? Kaum ein anderer Boxer hat so viele große Fragezeichen in seiner Karriere wie Iron Mike. Muss man Tyson am Ende sogar noch Respekt dafür zollen, dass er es trotz all dieser Widrigkeiten geschafft hat als Boxer extrem erfolgreich zu werden? Oder wird er als das größte verschwendete Talent in die Geschichte eingehen? Wie so oft im Leben liegt die Antwort wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Fakt ist, dass Tyson die Boxfans bis heute beschäftigt und kaum ein anderer selbst aktiver Schwergewichtler solch eine Aufmerksamkeit bekommt wie Iron Mike.

Vor einigen Jahren dann, bekommt der Mann aus Brooklyn einen Anruf. Es ist die Boxing Hall of Fame, die ihm verkündet dass er aufgenommen wird. Als Tyson aufgelegt hat, schießen ihm sofort die Tränen in die Augen, so glücklich ist er. Vielleicht sagen diese Emotionen mehr über den Menschen und Boxer Mike Tyson aus, als die vielen Erfolge die er im Ring hatte. Wie gut Tyson war, muss am Ende jeder für sich selbst bewerten. Doch eines ist sicher, er hat seine Ära geprägt, Rekorde aufgestellt und die Massen begeistert. Und was will man mehr von einem großen Boxchampion erwarten?

AKTUELLE FOLGE TOE TO TOE ÜBER IRON MIKE

Sehr empfehlenswerte Bücher über Mike Tyson: Unbestreitbare Wahrheit | Angst und Feuer

Quelle Titelbild: flickr.com – Eva Rinaldi

ROMAN HORSCHIG

Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.

Reinhören und gleich anfragen: 

Mehr erfahren
BLOG ALS PDF

DOWNLOAD